laut.de-Kritik
Eine melancholische Andacht an Chris Cornell.
Review von Michael SchuhManchmal schreibt das Leben Geschichten, die man einfach nicht erfinden könnte. Hierzu zählt sicher der makabre Zufall, dass der legendäre 1992er Soundtrack von Cameron Crowes Beziehungsfilm "Singles" über Musik und Liebe in Seattle zwei Tage nach Chris Cornells Tod in Neuauflage in den Läden steht. Die bekannten 13 Songs ergänzt um eine Bonus-CD mit 18 teilweise unveröffentlichten Songs, Demos und Instrumentals. Nicht alle kamen seinerzeit im Film vor. Das meiste Material stammt von: Chris Cornell. So gerät "Singles (Deluxe Edition)" in seiner vollen Blüte zu einer melancholischen Andacht an den legendären und erschütternd tragisch verstorbenen Soundgarden-Sänger. Cornell war die Stimme einer Generation - und diese Generation bildet der Film "Singles", der mit dieser Veröffentlichung eigentlich seinen 25. Jahrestag feiern wollte, bemerkenswert gut ab.
Wen wundert es: Soundgarden, Pearl Jam, Alice In Chains, Mother Love Bone, Screaming Trees, Mudhoney und die ausnahmsweise nicht aus Seattle stammenden Smashing Pumpkins - ein Soundtrack-Line Up für die Ewigkeit. Dies sah das damals verantwortliche Filmstudio Warner Bros. jedoch total anders, wie sich Regisseur Crowe erinnert: "Als alles im Kasten war, hatte Warner Bros. zunächst keinen Plan, wie es mit diesem Film umgehen sollte. Sie waren ein sehr erfolgreiches Studio, das traditionellere Filme vermarktete. 'Singles' war wie ein Fremdkörper. Als Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden aber durch die Decke gingen, ging ihnen ein Licht auf: Vor ihnen lag eine romantische Komödie mit dem Sound einer Szene, die gerade weltweit explodierte. So erklärt sich die Tatsache, dass der Film erst im September 1992 zweieinhalb Monate nach dem Soundtrack auf den Markt kam."
Die Platte fand bereits reißenden Absatz und machte auch die damals vor allem im Metal-Sektor bekannte Band Alice In Chains populär, deren Song "Would" den Opener stellte. Der musikverrückte Kalifornier Cameron Crowe, der den Soundtrack lange vor dem Hype als eine Art Mixtape konzipierte, die den schrullig-liebevollen Charakter der Stadt und ihrer Bewohner ins Visier nahm, hätte sich anhand dieser Schicksalsfügung eigentlich freuen sollen. Doch plötzlich musste er sich ständig rechtfertigen, dass "Singles" kein eiligst rausgedroschener Streifen war, um auf der Welle des Grunge-Hypes gutes Geld einzufahren.
Es gibt einen schönen Interview-Ausschnitt von Nirvana auf Youtube, in dem Kurt Cobain behauptet, man habe auch seine Band um Teilnahme am Soundtrack gefragt, woraufhin er aber sofort verneint habe, noch bevor er Grohl und Novoselic vom Angebot überhaupt unterrichtete.
Tatsächlich wirkt es heute seltsam, dass Nirvanas Sub Pop-Labelmates Screaming Trees und Mudhoney stattdessen ausgewählt wurden. Sollte Cobain wirklich gefragt worden sein, ist aber gut vorstellbar, dass ihn die Teilnahme an einem Hollywood-Film damals nicht gerade sehr gereizt hat. Andererseits hatte Crowe mit den erwähnten Bands wirklich schon genug ausdrucksstarke Typen dieser speziellen, neuen Rockmusik beisammen. In einem Interview mit dem Rolling Stone erzählte Crowe kürzlich von einem Kassettenfund während der Vorbereitungen für die Deluxe Edition mit dem Aufkleber "Nevermind - early Mixes". Es hatte wohl aus irgendwelchen vergessenen Gründen damals nicht geklappt mit Nirvana und "Singles".
Crowes bittersüßer Liebesfilm beleuchtet das Leben von sechs Einzelgängern in Seattle, deren leuchtende Stars Bridget Fonda und Matt Dillon sind. Der Schauspieler, Sänger der Film-Band Citizen Dick, sah mit langen Haaren, Kinnbart, Lederjacke und Turnhosen original aus wie seine echten Musikerkollegen, hatte aber den strahlenden Womanizer-Blick, den ein Filmstudiogigant wie Warner Bros. im Hinblick auf Kassenerfolge einfordert. Die Musik-Romanze, die Crowe später mit "Almost Famous" noch toppen sollte, ist bis heute vor allem wegen dieses wahnsinnigen Soundtracks bekannt.
Von Pearl Jam sind zwei Stücke vertreten: Stone Gossards Song "Breath", ein "Ten"-Outtake und das erste Demo der Band überhaupt, sowie "State Of Love And Trust", das aus derselben frühen Session stammt wie "Even Flow". Der kommerzielle Höhenflug von Alice In Chains startete praktisch mit dem Erfolg des Film-Soundtracks und ihrer ergreifenden Nummer "Would?". Einen der größten Momente liefert Chris Cornell mit "Seasons". Es bedurfte damals großer Überredungsarbeit, dass Cornell diese Akustiknummer unter seinem eigenen Namen beisteuerte - waren softe Akustiksongs doch nicht gerade das, was man im Jahr 1991 vom Sänger einer Hardrock-Band erwartete.
Wem das seltsam vorkommt, der höre sich nur mal den Song "Birth Ritual" an, eine Urgewalt. Oder wie Mike McCready von Pearl Jam sagte: "Cornell trifft in diesem Song Töne, die einfach immer höher gehen. Dann dieses Matt Cameron-Drumming, es ist vielleicht ihr bester Song überhaupt. Ich höre ihn vor allem dann, wenn ich richtig schnell fahre, wobei ich dafür natürlich schon viel zu alt bin."
Ausgerechnet Cornell ist auch derjenige, der dem Regisseur die Smashing Pumpkins empfiehlt, nach einer gemeinsamen Show in Chicago. Crowe kontaktiert Billy Corgan, erhält drei Songs, wählt "Drown" aus, der Rest ist Geschichte. Der Song, neun Jahre später auf "Greatest Hits: Rotten Apples" veröffentlicht, wurde laut Corgan aus falschen Labelentscheidungen um seinen Ruhm gebracht: "Epic setzte alles auf den Alice In Chains-Track 'Would', der ohne Frage ein Klassiker ist. Doch 'Drown' erhielt immer mehr Radio-Airplay, eigentlich unser erster Song, der das schaffte. Epic killte unsere Single, damit der Erfolg von Alice In Chains unter keinen Umständen gefährdet würde. Typisch Plattenfirma."
Die musikalisch harte Kost kontrastieren vor allem die im Film oft eingestreuten Pop-Melodien der zwei Paul Westerberg-Songs (Ex-Replacements), die man sogar mitpfeifen konnte. Die Bonus-CD featuret neben der Mudhoney-Persiflage "Touch Me I'm Dick" und diversen Livetracks noch sechs Cornell-Demos, darunter "Spoonman" und das eindringliche "Flutter Girl", die den Schmerz um seinen Verlust nur noch größer werden lassen. Am Ende ist es wie in der Szene, in der Matt Dillon Fonda das neue, von ihm eingebaute Soundsystem in ihrem Auto vorführen will. Sie stehen vor dem Wagen, Cornell kommt hinzu, und Dillon dreht stolz wie ein Pfau die Lautstärke via Fernbedienung höher und höher, bis zum ungewollten Ende: überall Scherben.
2 Kommentare
Hat Sven nicht erst alles dazu gesagt, was es dazu zu sagen gibt, oder taeusche ich mich da?
Trotzdem 5/5, sollte klar sein.
kaum tot schon geht er mir massiver auf die eier als zu audislave zeiten... das teil hier aber 5/5
was wurde eigentlich aus silverchair?