laut.de-Kritik

Wolfsche Wanderjahre oder: Helden in Strumpfhosen.

Review von

Niemand hat sich die artifiziellen, referenziellen Gesten des Pop so zu Eigen gemacht wie Patrick Wolf. Angefangen hat er seinerzeit als Schlafzimmer-Producer mit Laptop. Sein Sound wurde sukzessive breiter, die Featuregästeliste länger, bis der 25-Jährige schließlich ganze Orchester inkorporierte. Im Jahr 2009 vom Major emanzipiert und über Fanaktien via bandstocks.com finanziert, öffnen sich ganz neue Spielräume für den Londoner Elektrofolk-Barden.

Gleich ein Doppelalbum hat er diesmal konzipiert: Teil eins der Kriegssaga "Battle" ist das "depressive, von Reisen handelnde" Junggesellenstück "The Bachelor", Teil zwei folgt aus Gründen der Rezeptionsfreundlichkeit erst Anfang 2010. "The Conqueror" wird dann Wolfs derzeitige Liebesbeziehung dokumentieren und "an Orte des Glücks, Mitgefühls, häuslichen Lebens und der Stabilität zurückkehren".

Doch schon Part I rechtfertigt die Verwendung des Begriffs Opus. Die Queer-Ikone konfiguriert sich zunächst wie gehabt mal als Irishfolker, mal als Elektro-Frickler und immer wieder auf dem Metier des Monumentalpop. Nur geraten die Arrangements jetzt dermaßen saturiert, agiert Wolf so losgelöst von Pathos- oder Authentizitätsfragen (indem er die bislang verkünsteltsten Songs schreibt), dass es zur größten Herausforderung wird, sich "The Bachelor" komplett anzueignen.

Ein reißender Sturzbach aus Geigentrillern und Gitarrenwirbel macht von Vorneherein klar, dass sich hier der Größenwahn endgültig Bahn bricht, weil: "I'll work harder for revolution! This battle will be won!" Angst vor den enormen Fallhöhen seiner mutigen Popautarkie kennt der Schöpfer nicht. Was genau er dabei eigentlich umzustürzen gedenkt, tritt im pompösen Ideen-Dauerfeuer völlig in den Hintergrund.

Herr-der-Ringe-Ornamente und doppelrahmige Gemischtchöre wuchern allerorten, hinzu gesellen sich Allegorien auf biblische wie griechische Sagengestalten. Die Spitze der dramatischen Verwicklung bildet das alles überschattende Hymnengespann "Blackdown / The Sun Is Often Out": Das Piano umschmeichelt, Flöten tirilieren, das Cello gleißt, während ein bedächtig-düsterer Wolf den Song erst auf die Theaterbretter und dann auf den umwehten Gipfel der Einsamkeit trägt. Zweifellos erzielt er, dessen Gestenreichtum mehr als einmal an Freddie Mercury erinnert, hier den mit Abstand größten Stich.

Im Ganzen betrachtet will sein bildgewaltiger viktorianischer Futurismus ein wenig zu viel. Dass neben Schauspielerin Tilda Swinton, Violinistin Eliza Carthy, Glasharmonika-Spezi Thomas Bloch und Avantgarde-Elektroniker Matthew Herbert auch noch Breakcore-Experte Alec Empire kontradiktorisch mitwirkt, muss man dem Bemühen um Unberechenbarkeit zurechnen. Weniger harsche Flusskrümmungen hätten dem Heldenmythos nicht geschadet. Andererseits steht mit "The Conqueror" die voraussichtliche entspanntere Seite der "Battle"-Medaille noch ins Haus. Und mit Alles-oder-nichts-Haltung in die Schlacht am Fanaktienmarkt zu ziehen, gehört sowieso unterstützt.

Trackliste

  1. 1. Kriegspiel
  2. 2. Hard Times
  3. 3. Oblivion
  4. 4. The Bachelor
  5. 5. Damaris
  6. 6. Thickets
  7. 7. Count Of Casualty
  8. 8. Who Will?
  9. 9. Vulture
  10. 10. Blackdown
  11. 11. The Sun Is Often Out
  12. 12. Theseus
  13. 13. Battle
  14. 14. The Messenger

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7 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Beim Video und dem Lied "Hard Times" fällt mir spontan Marc Almond und Klaus Nomi ein. Sich wirklich neu zu erfinden ist heutzutage eben nicht leicht, aber hört sich ganz interessant an. Muss mal reinhören.

  • Vor 15 Jahren

    Klingt doch eigentlich recht spannend und nachdem ich bisher alle Alben des Herrn Wolf mochte, werd ich mir das neue Werk mit Sicherheit auch anschaffen. Bin schon sehr gespannt!

  • Vor 15 Jahren

    Ich kann mit diesem Album - im Gegensatz zu seinen Vorgängern - absolut nichts anfangen. Irgendwie drehen manche schwulen Indie-Popper mit zunehmendem Erfolg immer mehr ab und werden immer pompöser, dafür umso weniger eindringlich (Stichwort: Rufus Wainwright).
    Naja, vielleicht funktioniert die Scheibe ja nur, wenn man sie im Zusammenhang mit der zweiten Disc hört. Dann gebe ich ihr nochmal eine Chance...

  • Vor 15 Jahren

    Patrick Wolf kokettiert mit seiner sexuellen Orientierung, also bietet es sich an, ihn mit Rufus Wainwright zu vergleichen.

  • Vor 14 Jahren

    Gewiss - Patrick Wolf ist politisch naiv. Aber: seine Musik ist - gerade in den revolutionären Sprüchen - jenseits von Realitäten angesiedelt. Es geht ja nicht um den Umsturz eines Systems - es geht um das Gefühl des Widerstands: und genau dieses, das der Massenbewegung, spiegelt sich in der Bombastik des Albums wider (gerade Count of Casualty zeigt dies optimal).
    Das Album ist ein rein emotionaler Orgasmus - wer das nicht erkennt, verkennt das Gesamtwerk. Der Größenwahn ist nur ein Ausblick; er ist die Möglichkeit des Möglichen: die Chöre, die Streicher, die Orchester - die ja nicht ohne die elektronischen Bässe auskommen dürfen - sind, gewiss, Höhenflug, sie sind vor allem aber freudianisch zu verstehen: es geht um ein Gefühl, das die lyrische Einsamkeit in eine Hoffnung umschwingen lässt. Es geht, kurz gesagt, ums Mitsingen. Singen Tausende von "Human Rights", ist dies weder politische noch musi(kali)sche Aussage, sondern Verbundenheitsgefühl.
    Man mag das als schwul abstempeln, aber das trifft es nicht. Es zeigt die Zerrissenheit eines Charakters, der in der Menschlichkeit den menschlichen Zusammenhalt widergespiegelt zu finden hofft.

  • Vor 14 Jahren

    Also ich konnte mit dem Album bis vor kurzem nichts anfangen, aber jetzt...es ist einfach von Grund auf anders aufgebaut...man braucht ewig um es zu verstehen^^