laut.de-Kritik

Neon goldenes Alterswerk der ewigen Beatles-Legende.

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Da sitzt er mit Akustikgitarre im Garten seines Elternhauses, der zwanzigjährige Paul McCartney, zwischen den wehenden Leintüchern und Bettlaken seiner Familie. Es ist das Jahr 1962 und die Beatles-Single "Love Me Do" ist zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich noch nicht mal draußen (kam ja erst im Oktober). "Long time ago when we was fab", sang George Harrison einst. Auf dem Cover des neuen Paul McCartney-Albums ist der heute 63-Jährige noch nicht mal das, er ist einfach ein junger Rocker aus Liverpool.

Nun ist man ja prinzipiell schon skeptisch, wenn gealterte Heroen mit neuen Alben aufwarten, erst recht wenn sie Paul McCartney heißen, der sich vor vier Jahren mit dem patriotisch-karitativen Song-Nonsens "Freedom" mal gar keinen Gefallen getan hat. Werden dann für das Cover noch alte Fotos rausgekramt und längst vergangene Karriere-Highlights als Inspiration angeführt (hier u.a. der Song "Blackbird"), ist es meistens sinnvoll, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen.

Meistens. Ausgerechnet dieser McCartney widersetzt sich nun mit seinem neuen, schwerfällig betitelten Werk "Chaos And Creation In The Backyard" sämtlichen offenkundigen Befürchtungen, ein weiteres schlappes Pop-Album zu veröffentlichen. Der Produzentenname Nigel Godrich klingt zwar in der Regel immer neon golden, doch wenn ein Künstler nicht in Form ist nützt das ja auch nichts. Eine Recherche ergab allerdings, dass sich Godrich noch keinen einzigen Schnitzer in seiner Karriere geleistet hat: Klar, Radiohead und Beck sind gesetzt, doch auch Pavements "Terror Twilight", Travis' "The Man Who" oder die Flaming Lips-Compilation "Late Night Tales" stehen für außergewöhnliche Qualität. Warum also sollte dieser Mann gemeinsam mit einem der größten Musiker des letzten Jahrhunderts scheitern?

"Looking through the backyard of my life, time to sweep the fallen leaves away", nimmt McCartney in "Promise To You Girl" nostalgisch Bezug auf seine Coverwahl, und legt auf dreizehn Songs in geradezu unheimlicher Offenheit dar, wo seine Wurzeln liegen. In der kreativen Gemeinschaft mit drei Kumpels nämlich, die sich Ende der 60er Jahre von Beat-Milchbärten zu angesehenen Rock-Komponisten entwickelten. In der erwähnten, schnelleren Nummer flicht Macca gekonnt eine mehrstimmige Passage à la "Sun King" ("Abbey Road") ein, die Streicher-Elegie "English Tea" erinnert entfernt an "Eleanor Rigby" und "Friends To Go" schwingt gar ähnlich behende wie ein Harrison-Song.

Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie Sir Paul, der im Übrigen alle Instrumente bis auf die Streicher selbst einspielte, am Piano sitzt, eine falsche Bassnote trifft und von Godrich die prompte Antwort erhält: "Das ist toll. Das ist es." So geschehen beim Opener "Fine Line". Manchmal scheint Godrich wiederum gar nicht nötig gewesen zu sein, wie beim leisen "Jenny Wren", dessen Entstehung McCartney (unnötigerweise) so erklärt: "Ich spiele sehr gerne akustische Gitarre und deswegen habe ich in letzter Zeit Songs wie 'Blackbird' und 'Mother Nature's Son' gespielt, einfach weil die akustische Gitarre so schön ist." Das Ergebnis gehört mit dem staatstragend traurigen "At The Mercy" zu den schönsten Songs des Albums.

Obwohl man die Arbeit eines Produzenten nicht überbewerten sollte, weiß "Chaos And Creation In The Backyard" doch mit einer intensiven Schwere zu begeistern, die immer wieder an Becks "Sea Change"-Album erinnert. Gesetzte Songs, sanfter Gesang, ewige Melodien. "Freedom" sei dir hiermit verziehen, Paul, und "Hope Of Deliverance" scheint ganze Lichtjahre entfernt. Gut so.

Trackliste

  1. 1. Fine Line
  2. 2. How Kind Of You
  3. 3. Jenny Wren
  4. 4. At The Mercy
  5. 5. Friends To Go
  6. 6. English Tea
  7. 7. Too Much Rain
  8. 8. A Certain Softness
  9. 9. Riding To Vanity Fair
  10. 10. Follow Me
  11. 11. Promise To You Girl
  12. 12. This Never Happened Before
  13. 13. Anyway

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