laut.de-Kritik
Die Ungezwungenheit der Wiener Musik.
Review von Franz MauererÜber die Ungezwungenheit der Wiener Musik, die Piefke-Bands fehlt, die maximal ihre Hannoveraner-Bremer-Hamburger Verkrampftheit nutzen, um anders gute, unentspannte Musik zu machen, wurde schon viel Tinte vergossen. Die Wiener Pauls Jets ist einer der Hauptgründe, warum darüber so viel geschrieben wurde. Denn ungekünstelter Art-Pop ist, nun ja, ebenso Kunst wie ein Oxymoron.
Paul, Romy, Xavier und Kilian sind auch auf "Morgen Sind Wir Fantasy" wahre Meister darin, einen 90-Grad-Haken in genau jenem Moment zu schlagen, ab dem ihr Pathos in den Kitsch hinabgleiten könnte: Exakt dann eine tolle neue Figur auspacken, wenn der Sound anfängt, sich in der nächsten Sekunde zu dünn anzuhören. Das kommt alles in einer Dichte und Vielfältigkeit daher, die an poppigere Guided By Voices erinnert. Die Beiläufigkeit der Songs ist nur Geste, man merkt ihnen eine große Ernsthaftigkeit an.
Jeder Song dieses sehr überzeugenden und unterhaltsamen Album weist einen eigenen Charakter aufweist. Die Gemeinsamkeiten liegen im Gestus, in der Pose und im Tempo - nicht im Songwriting. Der Opener "Pompeji" fordert einen nach halbwegs flottem 80er-Space-Beginn mit einem langsameren, einsam stehenden Refrain heraus, untanzbar, bleibt dafür aber lange im Ohr.
"Kiss Me In The Morning" hätten die unterschätzten The Drums gerne geschrieben, ein veritabler Pop-Punk-Spätsommerhit. "Didn't Make It" bleibt fast nur im Songtitel Englisch, Ja, Panik-Wortungetüme finden sich hier nur in Ansätzen. Sänger Buschneggs Sprache ist emotional und einfach gehalten: Er hängt mit dem lyrischen Du ab, geht mit ihm shoppen, dabei am besten noch ein wenig schmusen. Der Song und seine Keyboard-Fontänchen legen sich lasziv um den sich räkelnden Sänger, eine schöne Nummer.
Auf "Feel Zu Viel" macht Titus Probst mit: Fängt an wie Indie-Gitarren-Pop, wird 80s-Pop, ist dann beides und tankt immer weiter die im Namen beschworene Sehnsucht. "Smash" ist der einzig weitere Song mit Gastfeature, Dima Braune. Hier mag der anvisierte Shoegaze-Druck nicht recht zünden, Paul und Dima wirken überfordert.
"Erdmaus" gefällt dagegen überaus, erinnert an alternative B-Seiten von "Love Letters" und schafft eine schöne Dynamik zwischen Ronja und Paul. Bei "Ich Schreib Dir" übernimmt sie komplett als Sängerin. Hier kommen wir nun in den Skizzenbereich: Eine gute Skizze wäre als Ausgangspunkt aber besser gewesen als dieser im Sound verharrende einen ungelenken Schluss zu suchen.
"Ffffuck" fehlt als percussionshallende Ballade die Grandezza, den im Song geschaffenen Rahmen auszufüllen. Pauls Jets performen toll, aber wollen ihre Harmlosigkeit partout nicht abstreifen, was in genau solchen Momenten auffällt. Das höchste der Gefühle ist Schmäh wie im wieder nicht ausbuchstabierten Interlude "Wir Hatten Fun" oder ein angedeutetes Club-Experiment wie "Interlude", die Watschen bleibt aber eisern in der Taschen.
Die verhandelten Gefühle hier sind eigentlich sehr groß, doch die Kapitulation gehört zu dieser Band dazu. Und sie ist hier auch nicht verbunden mit dem noch immer stattfindenden Aufbegehren, sondern steht für sich. "Ich Habe Angst So Ohne Dich Kann Ich Nicht Leben Oder Kann Ich Doch Ich Glaub Schon Aber Schön Ists Nicht", so könnte man das auch nennen. Aber so lange die Gitarre dabei so wunderschön jault wie hier, kann man sich nicht beschweren.
"If I Was A Human" zehrt von derselben Superkraft: Ambros hätte für das Riff in den 80ern bereitwillig gemordet. Ronjas Nico-Charme ist nicht zu leugnen, man würde ihr aber manchmal mehr Facetten wünschen, ähnlich einer Stefanie Schrank. "Hardcore" zitiert Tocotronics Kapitulationslyrik und fährt dabei eine schöne, ungewohnte Bassgarstigkeit auf, die phasenweise leider unter Synthies begraben wird. Schön und komplex, im Refrain aber zu flach.
"Harry Potter (Fantasy)" knüpft an die stärksten Teile des Albums an und fordert Paul mit seiner Mischung aus Messianismus und Storytelling positiv heraus. "Blau - Live Im Stu" holt einen fast schon Shellac-artigen Bass mit passenden Drums raus - Gitarrensolo und jauchzender Gesang geben ein völlig anderes, extrem positives Bild ab in dieser Elegie über FPÖ-Wahlerfolge.
Noch keine Kommentare