laut.de-Kritik
Die abgefuckte Seite der Liebe.
Review von Christian KollaschWer sich bei Liebeskummer gerne mit einem übervollen Glas Wein und "Wicked Game" von Chris Isaak auf Repeat in eine schwach beleuchtete Zimmerecke pflanzt, kann "Why Love Now" von Pissed Jeans getrost passieren lassen. Für alle, die ihrem Frust lieber auf allen Kanälen Luft machen wollen: Viel Spaß damit. In knapp 40 Minuten Laufzeit beleuchten Pissed Jeans die Liebe - in ihrer unangenehmsten Seite.
Die vier Kerle aus Pennsylvania werfen auf ihrem fünften Studioalbum wieder Elemente aus klassischem Hardcore, Noise und Punk in einen Topf. Und das Gericht schmeckt noch. Der Opener "Waiting On My Horrible Warning" stolpert leicht schwankend über verklebte Kneipendielen, während Sänger Matt Korvette Gift und Galle spuckt.
Wäre der erste Track die Fassade einer Gaststätte, würde man dort eher das letzte als das erste Bier trinken wollen. "Everyday I used to play punk / Now I'm just singing the blues", skandiert Korvette und hält sich dabei mit einer Hand am Tresen fest. Es scheint so, als hingen die abgewetzten Docs an den Schnürsenkeln zusammengebunden über einer Stromleitung, bis die Platte mit dem zweiten Song "The Bar Is Low" Fahrt aufnimmt.
Mit knackigem Riff und wunderbar grummelndem Basslauf halten Pissed Jeans die Messlatte unten, was an dieser Stelle nur positiv gemeint ist. Was schon auf Platte so fett klingt, sollte live genug Zunder liefern. Wohlklingende Harmonien machen sich auf "Why Love Now" eher rar. Dafür reißt die Band Song für Song das Kneipeninterieur ab.
Wer sich die Trackliste anschaut, stellt fest, dass trotz des Bandnamens kein Titel als 'explicit' vermerkt ist. Pissed Jeans haben das geschickt erreicht, indem sie sich ganz einfach selbst zensieren. Ein lautes Piepen hat mittlerweile schon wesentlich mehr Durchschlagskraft als das eigentliche Schimpfwort.
Erst mit "Love Without Emotion" drosselt das Gespann wieder etwas das Tempo. Auch Korvettes Stimme klingt dabei kurz unverfälscht, um im Chorus erneut in ein lallendes Gröhlen zurückzufallen. Das Organ des Frontmanns ist ohnehin ein Aushängeschild der Band. Die Kombination aus nasalem Stöhnen und gutturalen Wutausbrüchen dürfte in dieser Form recht einzigartig sein und pusht die Songs immer wieder eine Stufe über 'so oder so ähnlich mal gehört' hinaus.
Das Skit "I'm A Man" triggert dann alle Feministen mit kurzer Zündschnur. Mit einer großen Portion Ironie veralbern Pissed Jeans das Klischee des ekelhaft sexistischen Bürochefs. "You take dictations / You get it? / You ever been stapled? / Nevermind, we'll get to that." Pissed Jeans drücken einem die Fremdscham direkt ins Gesicht. Es braucht schon viel Political Correctness, um sich von diesem Schwall triebgesteuerter Ausfälle wieder rein zu waschen, womit Pissed Jeans voll ins Schwarze treffen.
Auf einem der Highlights der Platte, dem bebenden "It's Your Knees" mit Stoner-Gedächtnisgitarre, widmen sich Pissed Jeans den wohl mit am wenigsten besungenen Körperteilen. Auch wenn am Leib alles den eigenen Schöhnheitsidealen entspricht, können knubbelige Kniegelenke schon mal eine romantische Nacht sprengen. Wer sich also wundert, warum es mit dem Date nicht geklappt hat, obwohl alles super lief, sollte mal einen Blick auf seine Stelzen werfen. Der Humor, mit dem sich Pissed Jeans solcher Spleens annehmen, sitzt genauso sattelfest wie der Break in diesem Song.
"Why Love Now" zeigt die unangenehme, verschrobene und abgefuckte Seite der Zuneigung. Oft einseitig und ohne Garantie auf ein Happy End beschreiben Pissed Jeans Abgründe zwischenmenschlicher Beziehungen. Ausgenutzte Partner als Möbelstücke ("Have You Ever Been Furniture"), bittere Trennungen ("Not Even Married") und emotionslose Bindungen malen ein herzförmiges Bild des Schreckens. Zusammen mit der brachialen Mischung aus Hardcore, Noise und Matt Korvettes aggressiven Vocals empfiehlt sich die Einnahme der Platte bei jedem Oxytocin-Kater.
3 Kommentare
das ding kommt halt schon gut rotzig rüber. ebenfalls 4/5.
Ja, das Teil macht Spaß. Läuft zurzeit abwechselnd mit Brutalism von Idles in Dauerrotation.
die machen echt laune! bei liebeskummer würd ich mir halt eher ne ganze flasche wein geben und mehr und tief melancholisches zeug hören oder presslufthammermucke, nie sowas. aber diese angesprochene rotzigkeit, die fuck-off-attitüde und das (natürlich teils ironische) männlichkeitsgebaren tun einem im alltagsgeschäft echt mal ganz gut, von der griffig-siffigen rifflastigen musik an sich ganz zu schweigen.