laut.de-Kritik

Kratzbürstig wie ein flauschiges Daunenkissen.

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Im Idealfall sollten Songs Geschichten erzählen. Sie sollten den Hörer auf eine Reise mitnehmen, ihn im Alltag begleiten, zwischen Frust und Freude eine Brücke schlagen und sich dabei als Musik gewordener Freund für alle Lebenslagen erweisen. Vielen Songs gelingt das. Dabei spielt das Genre keine Rolle. Selbst gängige Radio-Tracks fesseln den Hörer mitunter, und sei es nur für einen Augenblick.

Auch die fünf Jungs von den Plain White T's aus Chicago stehen auf eingängige Sounds für die breite Masse. Auch sie wollen Geschichten erzählen, Geschichten über pulsierende Nächte ("American Nights"), das Innehalten ("Pause") und die Höhen und Tiefen leidenschaftlich geführter Liebesbeziehungen ("Stay", "Love Again"). Das Problem ist nur: Man will der Band irgendwie nicht richtig zuhören. Das hat aber weniger mit den Inhalten zu tun, eher schon mit der Art und Weise der musikalischen Ummantelung.

Der beiliegende Pressetext spricht von einem "authentischen und kantigen Mix aus Pop, Rock und Punk". Wer auch immer das verfasst haben mag: Er muss definitiv ein anderes Album gehört haben. Zwar vereint die Band (wie auch schon in der Vergangenheit) Fahrstuhl-tauglichen Harmony-Pop mit handgespieltem Bubblegum-Rock. Ecken und Kanten sucht man hier allerdings vergebens.

Lediglich das sich eher durch die Hintertür in die Gehörgänge schleichende Selbstzweifel-Drama "Never Working" und der ebenfalls unaufdringliche Indie-Pop-Schunkler "You Belong" verdienen sich aufgrund diverser Sound-Schlupflöcher einen dritten und vierten Durchlauf. Der Rest des Albums hingegen präsentiert sich in etwa so kratzbürstig wie ein flauschiges Daunenkissen mit Fleece-Bezug.

Mit plumpen Melodien aus dem Allerwelts-Archiv, zahlreichen Tralala-Chören und durchgewrungenen Retorten-Effekten im Gepäck schicken die Plain White T's einen musikgewordenen Zombie nach dem anderen ins Rennen.

Blutleer und auf der gierigen Suche nach Leben stolpern hüftschwingende Tote namens "American Nights", "Heavy Rotation" und "Someday You're Gonna Love Me" durch die Straßen Chicagos. Aber nirgends gibt es was zu futtern. Nicht einmal mit Tränen in den leeren Augenhöhlen und Rosen in den modrigen Händen locken die schlürfenden Dur- und Moll-Beißer Lebendiges an ("Stay", "Love Again").

"Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist ...": Fans von Gore-Guru George A. Romero wissen, worauf ich hinaus will. Bevor ich es vergesse: Punk-Liebhaber brauchen sich überhaupt keine Sorgen zu machen. Da handelte es sich wohl nur um einen Schreibfehler im Pressetext. Kann ja mal passieren. Stellvertretend für alle Anhänger der Ramones und Co. ziehe ich mich jetzt zurück und setze ein Dankschreiben an die Band auf.

Trackliste

  1. 1. American Nights
  2. 2. Pause
  3. 3. Never Working
  4. 4. Heavy Rotation
  5. 5. Stay
  6. 6. You Belong
  7. 7. Dance Off-Time
  8. 8. Someday You're Gonna Love Me
  9. 9. Love Again
  10. 10. Time To Move On
  11. 11. Here Come That Sunrise

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