laut.de-Kritik

Weltuntergang ist sowieso immer, die Prinzessin chillt.

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So wie Princess Nokia selbst in jedem zweiten Video zunächst völlig anders als gewohnt aussieht, obwohl sie nur die Haare anders trägt und vielleicht mal Hose und Hemd wechselt, verfügt sie über eine wandelbare Diskographie, die auf einigen wenigen bewährten Zutaten beruht. Mit dem Doppelschlag "Everything Is Beautiful" und "Everything Sucks" destilliert sie die zwei Herzen ihres Schaffens: Letzteres widmet sich angriffslustigem Trap-Geboller, doch "Everything Is Beautiful", das bedeutet Sonne, Soul und Selbstliebe.

Wenn man über einen musizierenden Menschen etwas in der Art von "muss sich und dem Publikum nichts mehr beweisen" schreibt, will man zumeist damit auf diplomatische Art formulieren, dass besagter Mensch nicht mehr sonderlich viel zu sagen hat. Hier aber passt die Floskel. In relativ kurzer Zeit hat sich Princess Nokia eine Vorreiterinnenrolle im Game errappt.

Das lässt sie uns spüren, und zwar auf die sanfte Tour. Hat einem ein Rapper, eine Rapperin schon einmal so tiefenentspannt ein dreifaches "fuck these cops" entgegengeflötet wie in "Green Eggs & Ham"? Wohl kaum. Diese Platte ist coool, mit drei o.

Weltuntergang ist sowieso immer, die Prinzessin chillt. Besser gesagt, sie hat eine auf die Fresse bekommen vom Leben, nicht zu knapp sogar, aber drüber lachen und triumphierend die mutierte Riesenratte hochhalten tut dem Leben mehr weh als zurückzuhauen (nur Liebe für dieses Cover). Sie weiß, was sie kann, was sie will, wer sie ist: "A spiritual being that rides any weather."

Man kann "Everything Is Beautiful" als Battlerap-Album betrachten, nur eben verkehrt herum: Die Selbstbehauptung entsteht nicht aus dem "Fick, nein!" gegenüber der Welt, sondern dem "Fick, scheiße, verdammt nochmal, ja!" gegenüber sich selbst. Das erinnert ein bisschen an die Sonderrunde bei Freestylebattles, bei der statt Beleidigungen Komplimente ausgetauscht werden.

Zwar hat man bei Princess Nokia nicht den drollig-herzerwärmenden Effekt, der entsteht, wenn zwei deutsche Amateur-Maulhelden in ihren Multifunktionsjacken Nettigkeiten austauschen, nachdem sie sich vorher noch super arg selbst gefeiert haben. Dafür ist die Stimmung hier doch zu ernst, es geht nun einmal auch um die Schläge, die sie als Kind von der Großmutter bekommen hat, um allerlei erlittene Verletzungen. Dafür ist das Selbstlob hier aber deswegen auch mehr als bloßes Gimmick.

Princess Nokia fordert sich und die Hörenden dazu auf, die eigenen Widersprüche einfach kurz mal auszuhalten: "I'm boasy, yeah, I'm the shit / I'm a pimp and a hoe / I could take your bitch." Sie macht einen ganzen Song darüber, dass sie Sternzeichen "Gemini" ist und was das ihr bedeutet. Das kann man mit Recht etwas albern finden, vielleicht einen Kalauer darüber bemühen, dass man sich selbst als Sternzeichen Ananas identifiziert. Aber über Sternzeichen Ananas hat noch niemand einen derart coolen, selbstbewussten Song gemacht, deswegen geht der Punkt doch wieder an sie.

Ihre Raptechnik hat keine Sperenzchen nötig. Für Reimschema-Sortierer ist das nichts, wer auf dreimal um die Ecke verklausulierte Metaphysik abfährt, wird ebenfalls nicht fündig. Die Texte sagen das, was es zu sagen gibt, und das direkt, ohne doppelten Boden. Das macht Princess Nokia angreifbar und deswegen umso sympathischer.

Außerdem, holy cow, die Beats! Was aufs erste Hören hin noch dezent unspektakulär wirkt, offenbart bei intensiverer Beschäftigung viele verspielte und verspulte Details, und nach dem fünften Mal ist man süchtig. Der Sound wirkt hier wie da wie aus einem sonnigen Guss. Schaut man ihn sich genauer unterm Kaleidoskop an, erkennt man, aus wie vielen verschiedenen Farben Bunt er besteht: Der lässige Party-Funk von "Wavy" steht neben einem Brecher aus Soul und Bass wie "Sugar Honey Iced Tea (S.H.I.T.)" neben dem Jazz-Loop-Schmuckstück "Gemini".

Mit Terrace Martin zusammen beweist sie auf "Blessings" einmal mehr, das ihr Soulgesang zu einem rein instrumentalen Background genauso gut steht wie Rap plus MPC. "The Conclusion" schließlich ist ein verträumt-flirrender Walzer, auf dem Princess Nokia betont, dass sie noch nie Spoken Word konnte, nur um eine ziemlich starke Spoken Word-Performance abzuliefern.

Wenn wir auch alle den beginnenden Frühling womöglich zumeist allein in geschlossenen Räumen oder auf sehr freien Feldern mit einem Meter Sicherheitsabstand zwischen uns verbringen müssen: Mit "Everything Is Beautiful" können wir uns ihn jederzeit ins Hirn und ins Herz holen. Fast so, als habe sie das geahnt, das alte Schlitzohr.

Zudem bietet Princess Nokia hier allen eine Alternative an, die das Gelaber der ganzen harten Kerle schlicht nicht mehr hören können, das ewig unsichere Geprotze von Männern, die in ihrer emotionalen Entwicklung bei 14 stehen geblieben sind (wir wollen mal nicht so sein und keine Namen nennen, außer den von Fler). Dabei klingt sie aber nie belehrend, nie nach Seminar, stattdessen in erster Linie immer wie sie selbst. Und das klingt ziemlich, ziemlich gut.

Trackliste

  1. 1. Green Eggs & Ham
  2. 2. Happy Place
  3. 3. Wash & Sets
  4. 4. Gemini
  5. 5. Wavy
  6. 6. Sugar Honey Iced Tea (S.H.I.T.)
  7. 7. Soul Food Y Adobo
  8. 8. Sunday Best
  9. 9. Blessings
  10. 10. Heart
  11. 11. I Am Free
  12. 12. The Conclusion

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