laut.de-Kritik
Politische Sorgen mit satirischem Biss und Wiener Schmäh.
Review von Philipp Kause"Ich überleg mir ganz genau, was ich mache, und ich mach das auch schon lang genug, so dass ich weiß, was funktioniert und nicht funktioniert", gibt Rainhard Fendrich als Bedienungsanleitung zum ersten Stück von "Wimpernschlag" heraus. Ich wollte von ihm wissen, wie er diejenigen für sein Album motiviert, die "Wir Sind Am Leben" als Synth-Schlager empfinden dürften. Denn es ist gut möglich, dass so manche:r nach diesem Opener reflexhaft weg skippen und dann die weiteren 15, mitunter ergreifend schönen Songs gar nicht mehr entdecken würde. "Wenn jemand a bisserl was von Musik versteht, wird er bemerken, was das für eine schlaue Komposition ist. Denn es ist eine Modulation drin, die gar keine ist. (...) Ich wollte mit diesem Lied ein positives Signal senden."
Was an dem schlauen Stück leider trotzdem nervt, ist der Pump-Beat, der aus einer Sound-Library irgendwo zwischen Mia Julia und Milky Chance, Nino de Angelo und Parov Stelar eingekauft zu sein scheint. Auch die ausufernde Darbietung des "eee" im Wort "Leben" weckt erst mal keine Lust auf die Platte. Doch Obacht: Ihr verpasst etwas, wenn ihr da aussteigt.
Der Wiener hat sich in Deutschland lange nach dem Start seiner Musik-Karriere als Fernseh-Gesicht einen Namen gemacht. Man könnte sagen, er war das charmante Vorbild für Roland Trettl, nur ohne Restaurant. Bei "Herzblatt" standen Barhocker ohne Bar im TV-Studio, der damals bereits bekannte Sänger versuchte 244 Paare zu verkuppeln. Wie witzig und wortgewandt er ist, zeigte sich dort ohne Musik. Gelegentlich hat er mit Parodien unterhalten. In den letzten Jahren zeigte er sich immer ernster. Er thematisierte, anders als in seinen spaßigen Hits der 1980er, Entwicklungen, die ihm missfallen. So fragte er auf dem Album "Schwarzoderweiss" (2016) "Wer schützt Amerika?", kritisierte die NATO-Einsätze im Irak und in Afghanistan. "Wer rettet es vor den bewaffneten Greisen, denen der Colt noch raucht?!", wollte Fendrich in Bezug auf die USA wissen.
Im Spätsommer 2019 attackierte er den Typus des "Social Media Zombie", dem das Smartphone zum untrennbaren Körperteil wird. Zudem kotzte er sich über Glyphosat, Dummheit, Aluhut-Konservatismus, Antisemitismus und Rechts-Populismus aus. Auf "Starkregen" nahm er sich Zeit für diese umfassende Abrechnung. Aktuell könnten wir mit einem "Wimpernschlag" einem Nuklearkrieg zum Opfer fallen. 2025 bringt der Pop-Singer/Songwriter drei Antikriegs-Lieder mit verschiedenen Gesichtspunkten mit, und zwar die kristallklar Kritik übende Keyboard-Ballade "Die Kinder Des Krieges", die bissig-satirische Akkordeon-Polka "Wladimir" und das Gedankenspiel "Nie Mehr Krieg" über einen weltweiten Zusammenschluss von Deserteuren.
Als Schluss platziert, hallt das Lied nach dem Hören lange nach. Mit Party-Hits wie "Es Lebe Der Sport" hat das nichts zu tun, und auch nicht mit Love-Songs der Marke "Weusd A Herz Hast Wie A Bergwerk", vielmehr könnte "Nie Mehr Krieg" so oder ähnlich auch von Niedecken stammen.
"Die Kinder Des Krieges" thematisiert ein Minen-Opfer. Fendrich zählt auf: Panzerketten, Kanonen, nagenden Hunger, Panik, Schreie, Blut, Umherirren. "Die Kinder des Krieges, sie klagen euch an, vielleicht noch nicht heute, doch ganz sicher irgendwann. / Die Kinder des Krieges, sie kennen kein Glück, nur Angst und Verzweiflung / und die kriegt ihr zurück." - Das sitzt. Und es machen jetzt nicht gar so viele Rock- oder Pop-Künstler Lieder, die sich in Kriegs-Traumata von Kindern hinein versetzen und dann noch das Thema in einem guten textlichen Gerüst und einer schönen musikalischen Umsetzung zu fassen kriegen.
"Wladimir" geht auf den Effekt ein, den George W. Bush für die USA auslöste, und der leider manchmal heute für Russland gilt. Manchmal setzt man Land und Herrscher gleich: "Wer denkt noch an Frohsinn, wenn es um Russland geht?!" - Fendrich zeichnet Wladimirs Geschichte vom KGB über den oben ohne im Sibirien-Urlaub posierenden Präsidenten nach, der aus Rainhards Sicht kein Herz haben könne. "In deiner Brust schlagt sicher irgendwo a Herz. - Des woa a Scherz!" - "Nie Mehr Krieg" stellt das mentale Experiment an, was wäre, wenn rund um den Planeten alle Truppen die Befehle von Despoten verweigern, ignorieren, überhören würden. Der Track mit akustischer Gitarre und Synth-Streichern ist zwar 'nur' eine schöne Utopie, reiht Fragen aneinander. Aber hat nicht sogar die trockene Angela Merkel 2003 angesichts der Irak-Frage wiederholt das Wort 'Weltfrieden' verwendet? In warmen Tönen untermalt Fendrich seine Vision, die er kraftvoll getextet hat und die nach meiner Auffassung ein sehr gelungenes und schönes Anti-Kriegs-Lied ist.
Die Electro-Nummer "Über's Meer" flankiert die genannten Lieder gegen Autokratie und Waffen mit dem Blick auf Migranten, die sich mit Schleppern lieber in den Tod stürzen, als in ihrem Heimatland zu verharren. Geräusche von Wellen und orientalischen Melodie-Schnipseln in der Ferne machen den Track anschaulich. Ansonsten zeigt sich der Songwriter hier mit stumpfem Humpftata von seiner langweiligsten Seite, auf diesem ansonsten kreativen Album.
"Ich kann nur sagen, dass ich noch nie in meinem Leben zuvor so viel Sorge um die Demokratie gehabt habe wie jetzt", gibt der stets selbst textende Fendrich zu bedenken und blickt nachdenklich auf sein Land. So erklären sich denn auch manche anderen Themen und Songs auf "Wimpernschlag" wie die populistische Vereinfachung und Schwarz/Weiß-Gut/Böse-Einteilung der Welt als Motiv in "Glaub Net Alles". Wiener Schmäh bringt der bald 70-Jährige für die Formulierung zum Glück mit. Er findet passende Worte für diese Zeit, in der auch "der Hass floriert": "Glaub net jedem, der im Wirtshaus grölt / glaub net immer ois, wos in der Zeitung steht. (…) Dann auf Instagram gibt's a Mords-Tam-Tam / weil dort alle irgendwos zum Sogen hom."
"Schöne Aug'n" analysiert übercoachte Politiker:innen, die mit manipulativer Mimik auf Plakaten und im Fernsehen auftauchen. Aber "ma kann aa mit die schönsten Aug'n a riesengroßes Gfrast sein", also ein "Nichtsnutz". Die Erfahrung mit dem Aufstieg und Fall von Sebastian Kurz dürfte hier sicher in den Song hinein gespielt haben. (Allerdings: Für die BRD muss man im Direktvergleich von 2021 immerhin festhalten, dass die eher öfter, als es passt, lächelnden Kanzlerkandidaten Baerbock und Laschet gegen ihren Konkurrenten mit der stets hoch gezogenen Augenbraue versagten...)
Bei aller Reizüberflutung fehlen uns oft Informationen. Manche teilt uns aus Scham keiner mit. Etwa wenn in der Nachbarschaft Dauer-Singles wider Willen, gestresste Alleinerziehende und Kinder in Armut wohnen, oder wenn sich dort häusliche Gewalt und Scheidungs-Dramen abspielen. "Nebenan ist oft zu weit, denn man nimmt sich nicht die Zeit und schaut gern drüber hinweg / und was auf der Strecke bleibt, das ist die Menschlichkeit / der man kaum Bedeutung schenkt und sie mehr und mehr verdrängt / die Menschlichkeit, dieser göttliche Instinkt". - Das könnte für den Kirchentag verfasst sein, aber das macht es nicht falsch. Es ist großartig getextet, leider oft wahr und ein stringenter Songwriter-Titel mit Rock-Momenten. "Das Kleine Glück" ist ein weiterer Appell an die Achtsamkeit im Alltag und ein sehr ruhiger, warmer Song. Beide Lieder rufen die Gefahr von Einsamkeit im Alter ins Gedächtnis. Ein Thema, das in den nächsten Jahren an Brisanz noch zunehmen dürfte.
Um Rainhards Schulzeit, die er teils in einem Internat verbrachte, geht es in "Nie Wieder Jung Sein". Er erzählt von materiellem Mangel, Pech bei Mädchen, schlechten Noten, unfairen Lehrkräften. Hinter seinem Ekel vor der Schulzeit steckt auch, wie die NS-Zeit damals in den Sechzigern tot geschwiegen wurde (wobei er das im Song nicht nennt). In den Achtzigern waren Urlaube an der Adria angesagt, und der "Nachtzug Nach Jesolo" ruft Fendrichs erste Erfahrung auf einem Campingplatz im Umland von Venedig in Erinnerung, mischt Nostalgie, Selbstironie, Blättern im Fotoalbum der Schauplätze. Mir geht nach dem Hören Nik Kershaws "I Won't Let The Sun Go Down On Me" nicht mehr aus dem Kopf. Das ist doch genau das gleiche Lied, nur mit anderem Text, oder?! Für den Kontext passt das ja durchaus.
Der feinsinnig arrangierte Callcenter-Song "Warteschleife" wartet dann mit Satire pur auf. Just in dem Augenblick, in dem man, weich gekocht von der Wartemelodie, irgendwo rein beißt, dann, wenn man den Mund voll hat, dann wird man zum "nächsten freien Mitarbeiter" durchgestellt. Callcenter-Warteschleifen sind ein hartes Gedulds-Training. "Ich glaube, dass Satire dann gut ist, wenn sie ohne Waffen auskommt", meint der Songschreiber. Er legt ein interessantes Themenbündel vor.
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