laut.de-Kritik
Poetische Lieder über Väter und Söhne.
Review von Artur SchulzMit 70 Lebensjahren eröffnet sich ein ganz anderer Blick aufs Gestern, Heute und Morgen. Die Stimme ist rauer, dunkler, älter geworden. So überwiegen die Molltöne auf "Wenn Du Bei Mir Bist", der balladesken Songeröffnung des neuen Albums. Sein Vermögen als Songwriter hat sich nicht verringert, die Bandbreite der Themen dafür erweitert.
Immer ein schwieriges Unterfangen, ein ganz persönliches Album vorzustellen. Ein Zuviel an Intimität birgt die Gefahr von Peinlichkeiten, und: Wen interessierts? Gewieft umgeht Mey derlei Klippen. Auf einem Riff läuft er nie auf, schrammt höchstens dann und wann einmal vorbei.
Das Verhältnis der Generationen unter- und miteinander zeigt sich als zentrales Motiv, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Gedanken beim Blick in die Wiege des Enkels bestimmen "Fahr Dein Schiffchen Durch Ein Meer Von Kerzen". Nicht so kinderaffine Zeitgenossen nötigt so eine Nummer sicher zum schnellen Weiterskippen. Zumal sie nicht nur wegen des Titels auch ins Kinderlied-Programm von Rolf Zuckowski & Co. passen würde. "Vater Und Sohn" stellt Eindrücke des eigenen und des anderen Reifens und Älterwerdens gegenüber.
Mey brilliert besonders dann, wenn er anhand kleiner Geschichten und scharfer Beobachtungsgabe scheinbare Nichtigkeiten des Daseins in originelle und frisch klingende Zeilen fasst. Als vorzügliches Beispiel dient dafür "Vaters Mantel", die anrührende Geschichte um die Fertigkeiten eines altgewordenen Schneiders.
Umrahmt von heiteren Pedalsteel-Sounds erzählt "Wolle" die Story eines gealterten Musikstars im Karohemd. Klar, hier handelt es sich um den ebenso geschätzten wie gefürchteten . Meys Hommage funktioniert als nicht bierernst angelegter Song, doch ins vordergründig Lächerliche zieht er den Besungenen dankenswerterweise nie.
Das Album fordert Zeit und Aufmerksamkeit, die sich lohnt. Der Zyklus übers miteinander (nicht nebeneinander) leben umspannt satte 17 Tracks. Trotz gelegentlicher Streicher und Piano-Einschübe hält Mey die Arrangements bewusst karg, und aufs Wesentliche reduziert. Doch das geht nie auf Kosten von Wärme und Eindringlichkeit.
"Lieber Kleiner Silvestertag" beschreibt in trefflichen und originellen Bildern den Umgang mit dem Jahres-Kehraus. "Armer kleiner Silvestertag / bist so mutig aufgewacht / hattest dich für diese Nacht / so schön zurechtgemacht". Doch nur "der arme alte Karpfen" in der Badewanne ist noch "übler dran" als dieses hoffnungslos überfrachtete Datum. "Schmerzlich entbehrter Monatslohn" verpufft im Feuerwerk als "Dreck und Gestank". Doch Mey geht es nicht um moralinsauer zelebrierten Silvesterhass - ihm liegen nur die besinnlichen Momente des Jahreswechsels mehr am Herzen als Völlerei und Böllerei.
"Alter Freund" feiert den Weintrinker, der genießt, statt sich den Schädel vollzuhauen. Denn der Rebensaft ist für den Liedermacher auch die "wundersamste aller Arzneien". Politische und gesellschaftliche Probleme kommentiert Mey mit sanftem Spott und oft trefflicher Ironie. Mit "Es Ist An Der Zeit" interpretiert er ein Antikriegslied von Hannes Wader, "Sally" präsentiert den Liedermacher inmitten musikalischer Hafenromantik - und in italienischer Sprache.
Mey sinniert vornehmlich über Zeiten, die längst nicht mehr sind. Doch der Blick wendet sich altersmilde gestimmt gleichberechtigt auch aufs Heute. Wenn es gilt, Gefühle und Gedanken in klare Sprache umzusetzen, steht er noch immer in der allerersten Könner-Reihe. Seine Lyrics wirken dabei nie aufgesetzt oder verkrampft. Ganz im Gegenteil: häufig genug kommt dabei echte Poesie zum Tragen.
1 Kommentar
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Es ist kein wirklich großes Album geworden, auch nicht für Mey'sche Verhältnisse, aber mit dem richtigen Rotwein kommt's abends ganz gut. Vielleicht sein persönlichstes Album, immerhin steht die Familie mitsamt ihren Mitgliedern und mit all ihren Höhen und Tiefen überdurchschnittlich oft im Fokus. Eine Handvoll Titel haben ein paar Sekunden zuviel und in Sachen Arrangement wagt Reinhard Mey auch keine größeren Experimente mehr, aber das scheint ihn nicht zu kümmern, immerhin strahlt er auf diesem Album eine sehr große innere Ruhe aus. Offensichtlich ist er mit sich selbst im Reinen.
Drei sichere Sterne, den vierten bereits im Blick, aber leider doch knapp verfehlt.
Gruß
Skywise