laut.de-Kritik
Endlich passt die Stimme zu den Texten.
Review von Giuliano BenassiEine der wenigen Angelegenheiten, auf die sich die Gebrüder Gallagher einigen können, ist: Beide finden Richard Ashcroft großartig. Umso erstaunlicher, da sie in den 1990er Jahren direkte Konkurrenten in den Charts und den Jahresbestlisten waren. Doch während die Gallaghers mit Oasis und ihren Soloprojekten weiterhin Erfolg hatten, wurde es um Ashcroft immer ruhiger. Zuletzt machte er im August 2021 auf sich aufmerksam, als er sich weigerte, wegen der angekündigten Corona-Maßnahmen (entsprechend 3G in Deutschland) auf einem britischen Festival aufzutreten. Seine Hashtags: #naturalrebel und #theydontownme.
Nun gut. Besinnen wir uns lieber auf die Musik von "Captain Rock", wie ihn Noel Gallagher einst bezeichnete. 2022 wird seine berühmteste Platte, beziehungsweise die seiner Band The Verve, "Urban Hymns", 25 Jahre alt. Offenbar konnte es Ashcroft aber nicht erwarten, denn das vorliegende Album ist im Prinzip eine Neuaufnahme dieser Ausnahmeplatte. Acht von zwölf Stücken stammen von ihr, eingerahmt von den zwei berühmtesten.
Den Anfang macht "Bittersweet Symphony", das seinem Titel auf unrühmliche Weise gerecht wurde: Die Streicher, die das Stück prägen, stammen aus dem orchestralen Arrangements eines weniger bekannten Songs der Rolling Stones, "The Last Time" (1965). Das Management von The Verve hatte vom damaligen Label der Stones, Decca, die Erlaubnis erhalten, ein Sample verwenden zu dürfen. Jedoch hatten sie den ehemaligen Manager der Stones nicht gefragt, der die orchestrale Version aufgenommen hatte. Der Erfolg von "Bittersweet Symphony" rief ihn und seine Rechtsanwälte auf den Plan. "This is serious lawyer shit", kommentierte Stones-Gitarrist Keith Richards. Ergebnis des Streits: Die Einnahmen des Songs gingen an den ehemalige Manager, zusätzlich mussten die Autoren von "The Last Time" (Jagger / Richards) als Co-Autoren von "Bittersweet Symphony" aufgeführt werden. Ashcroft erhielt für seine Mühen gerade mal 1.000 Pfund.
Es dürften hoffentlich ein paar mehr geworden sein, denn mittlerweile ist Ashcroft der einzige Autor des Stücks. "Letzten Monat haben mir Mick Jagger und Keith Richards alle ihre Rechte an 'Bitter Sweet Symphony' übertragen, was eine wirklich freundliche und großzügige Sache war. Ich hatte nie ein persönliches Problem mit den Stones. Sie waren immer die beste Rock'n'Roll-Band der Welt. Es war eine fantastische Entwicklung. In gewisser Weise ist es lebensbejahend", erklärte Ashcroft im Mai 2019, als er einen der wichtigsten britischen Preise in Empfang nahm, den Ivor Novello Award, für seinen 'außerordentlichen Beitrag zur britischen Musik'.
Vielleicht ist es seine Art von Dank, dass sich "Acoustic Hymns" an den Stones orientiert. Der Unterschied zu den Originalen liegt jedoch weniger in der Begleitung - im Prinzip hat er die Keyboards auf "Urban Hymns" mit einem Klavier ersetzt - als in der Stimme. Endlich passt sie zu den Texten, die damals etwas altklug erschienen und nun mit tatsächlichem Leben gefüllt sind.
Und nicht, dass sich seine Stimme groß verändert hätte, nach wie vor trägt Ashford ruhig und klar artikuliert vor. Doch klingt sie nun rauer und rauchiger, wie die eines Menschen, der einiges erlebt hat. "The drugs don't work, they just make things worse", wie er in seinem zweitbekanntesten Stück sinniert.
Zum Material von "Urban Hymns" gesellen sich vier Solostücke. "A Song For The Lovers" und "C'Mon People (We're Making It Now)", letzteres mit Liam Gallagher, stammen von seinem ersten Soloalbum "Alone With Everybody" (2000), "Break The Night With Colour" von "Keys To The World" (2006). Die größte Überarbeitung erfährt "This Thing Called Life", 2013 mit Beats und Hip Hop-Anleihen erschienen und nun mit Indierock und Gospelchor garniert.
Ob "Vol.1" als Witz zu verstehen ist? Vermutlich, denn allzu viel bleibt für ein "Vol. 2" nicht übrig. Dafür legten sich Ashcroft und seine Mitstreiter umso mehr ins Zeug. Die Produktion übernahm wie schon bei "Urban Hymns" und fast allen Ashcroft-Soloplatten Chris Potter (u.a. Rolling Stones). Wil Malone kümmerte sich um die Streicherarrangements, die in den Abbey Road Studios aufgenommen wurden.
Und irgendwie fühlt man sich immer wieder an "Wild Horses" erinnert, auch wenn "C'Mon People (We're Making It Now)" und "Break The Night With Colour" ungewohnt fröhlich und fast schon poppig klingen. Offenbar geht es Ashcroft nach schwierigen Jahren der Depression wieder besser, selbst das bleischwere "The Drugs Don't Work" mutet nun fast schon hoffnungsvoll an.
"Du musst nicht mit dem Strom schwimmen / Schwimme gegen den Strom und finde eine Hand zum Festhalten", singt Ashcroft in "This Thing Called Life". Schade, dass er Medizin mit Politik verwechselt, aber damit steht er nicht alleine da. Leider. Vielleicht hat Nena zum runden Jubiläum ein paar Luftballons für ihn übrig?
3 Kommentare mit 3 Antworten
Sehr schöne Platte. Es tut gut die ganzen Songs in leicht neuem Gewand und mit leicht gealterter Stimme zu hören. Der Track mit Bruder Liam ist leider ein wenig beliebig.
Gehört 4/5.
top albung von richard asscraft. besonders hervorheben möchte ich die bittersweet fartphony und a song for the farters der albung closer the farts dont work ist auch episch
Man kann sich sehr gut vorstellen, wie sich der Verfasser dieser Zeilen über seine eigene Lustigkeit eingenässt hat.
ich entschuldige mich, ich hatte mich nicht ausgeloggt, den kommentar hat mein sohn geschrieben. ich kenne "Richard ashcroft" nicht mal. wer ist das?
Sinn und Zweck dieser Scheibe entgeht mir. Die Songs war schon immer mehr oder weniger akustisch. Der Mehrwert tendiert gegen Null.
Ja, der Mehrwert ist gering. Aber für mich als Ur-Fan von the Verve und Richard ist das mit der gealterten Stimme und leicht anderer Instrumentierung schon schön zu hören (nach all der Zeit).