laut.de-Kritik
Im Würgegriff der Dreifaltigkeit Worte, Bass, Vibe.
Review von Dani FrommEs gehört zu den wundersamen Eigenschaften des menschlichen Gehirns: Wir tendieren dazu, eher an angenehmen Erinnerungen festzuhalten, sie rückblickend sogar zu verklären, und die schlechten dafür wo immer es geht unter den Tisch fallen lassen. Feine Sache, das, und sie funktioniert bestens auch im Hinblick auf Musik.
Ich hätte drauf gewettet, dass Roots Manuva seit "Duppy Writer" kein Album mehr veröffentlicht hat. Gut, dass ich nichts gesetzt habe: Das vom Cover bis zum Sound enttäuschende "4everevolution" muss mir irgendwie durch die Drähte gerutscht sein. Im Rückblick glänzt noch "Slime & Reason", die komplette Diskografie des Londoners mit jamaikanischen Wurzeln schmachtet aber im ellenlangen Schatten von "Run Come Save Me".
Das blieb in seiner körperlich spürbaren Macht unerreicht. Bis jetzt: "Bleeds" setzt die seltsam befriedigende Tortur fort, wenn auch mit anderen Mitteln. Fühlte sich "Run Come Save Me" damals (wie heute) an wie eine Serie von Schlägen auf den Solarplexus, nimmt Mr. Rodney Smith seine Zuhörerschaft diesmal in den Würgegriff. Die Kraft dafür liefert ihm die mächtige, ewige Dreifaltigkeit: Worte, Bass und Vibe.
Fester, immer fester drückt Roots Manuva zu. Das Atmen wird erst zur Qual, dann unmöglich. Die Sinne schwinden, zwischen den vor dem Auge flackernden Sternchen breitet sich Rabenschwärze aus. Erst "Fighting For?" ganz am Ende öffnet den Tunnel, zeigt einen möglichen Weg zu neuen Horizonten. Ab ins Licht, so lange es noch geht! Leicht möglich, dass die Gelegenheit schneller vorüberzieht als gedacht.
Um an diesen Punkt zu gelangen, gilt es allerdings zunächst einmal das finstere Tal zu durchwandern, wo die wilden Kerle wohnen. "Hard Bastards" heißen die bei Roots Manuva, der mit deutlichen Worten ein trauriges Bild einer schon in dritter Generation verlorenen Jugend zeichnet. Das verzweifelt angestrebte Leben auf der Überholspur führt nicht in eine goldene Zukunft, sondern ungebremst weiter die Spirale abwärts, im Kampf ums nackte Überleben.
Streicher und Chöre, die in einem Moment mönchisch, im nächsten schamanisch tönen, leiten die Sozial- und Systemkritik ein. Der Bass pumpt heran wie ein Herzschlag. Mit dem Rap verdichtet sich die düstere Stimmung. Seine "hard bars" liefert Roots Manuva betont ungerührt. Unter der reglosen Oberfläche scheint es aber unentwegt zu brodeln, als dauere es bis zur Eruption nur noch zwei, drei, allerhöchstens vier Silben.
Die raumgreifende Hook mit noch mehr noch dunkleren Streichern und getragenem, dramatischen Gesang komplettiert ein beeindruckendes, berückendes, berührendes Stück Eröffnungsmusik. Öh, jawohl: Das war gerade einmal der erste Track.
Der karibische Touch, der in Roots Manuvas Raps seit jeher mitschwingt, kommt in "Crying" voll zum Tragen, hier garniert mit Geräuschen, die abwechselnd an ein Schluchzen und ein giggelndes Baby erinnern. Die beklemmende Kulisse fängt das Gefühl perfekt ein, das einen anspringt, wenn man in sich geht und von dem, das man dort vorfindet, einfach nur angewidert ist.
Die wobbelige Basis von "Facety 2:11" lässt einen leise seekrank zurück, die Füße wollen partout keinen festen Boden finden. Hier hat Four Tet mitgeschraubt, zudem haben auf "Bleeds" Dub-Veteran Adrian Sherwood und ein junger britischer Produzent namens Fred die Finger im Spiel. Auch ohne Wissen darum, wer zum Teufel das sein soll oder wer genau wo was beigetragen hat, bleibt kein Zweifel: Alle Beteiligten haben den Bogen raus, wie man das große "Twin Peaks"-Gefühl erschafft, eine unterschwellig bedrohliche Atmosphäre, in der die Dinge vordergründig ganz normal, auf den dritten und vierten Blick aber doch höchst seltsam anmuten.
So spendet der Soul, der aus "Don't Breathe Out" tropft, nur trügerische Geborgenheit. Das wehmütige, klassische Klavier inmitten des Kaminfeuer-Knisterns von altem Vinyl kippt in "Cargo" in fiebrige Intensität, läuft, immer leicht schräg, zusammen mit der getriebenen, gequälten Stimme aus dem Ruder, nur um am Ende wieder genau am Ausgangspunkt anzukommen.
Neben der inhaltlichen Schärfe hinterlässt allein schon die Art Spuren, wie der Mann am Mikrofon Worte und Silben setzt: Die Vocals wirken, besonders augenfällig in "Facety 2:11" und "Stepping Hard", wie ein Percussioninstrument. Im Verbund mit dem Bass erwächst daraus, was immer Roots Manuva beliebt: Sturm, Drang, Gewalt und Erschöpfung. Uffz.
"I Know Your Face" kommt mit seinem Pathos, dem ganz großen Drama, einer Nahtoderfahrung gleich. Zum Glück reißt Roots Manuva diesen Abgrund nicht erst ganz am Ende seines Albums auf, man säße sonst wohl noch lange unrettbar verloren im Loch. In "Fighting For?" hallt die Schwere zwar noch nach, verfliegt aber zusehends: "The cold truth makes room for the warm life." Stirb an einem anderen Tag. Das hier: eine Ode an das Leben.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Kleine Warnung an dich Dani:
Nimm jetzt nicht den Hype um Azad zum Anlass um Leben 2 kritischer zu bewerten!!!
an ein azad-album glaub ich eh erst, wenn es wirklich veröffentlicht ist.
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
diesmal kann man sich aber voller Vorfreude entspannt zurücklehnen und die Wartezeit mit alten Azad Alben überbrücken. Tourdaten sind auch schon raus, an eine Verschiebung glaube ich also nicht
Verdammt wo krieg ich jetzt Kohle für das Dig her, hatte ich agr nicht auf dem Schirm.
Richtig gutes teil!
sehr, sehr gut