laut.de-Kritik

Das verschollene Album von 1969.

Review von

Kohle oder noch mehr Kohle? 1965 entschied sich Roy Orbison für die zweite Variante. Er verließ das kleine Label Monument Records, bei dem er mit "Only The Lonely", "It's Over" oder "Oh, Pretty Woman" riesige internationale Erfolge gefeiert hatte, und wechselte zum Filmkonzern Metro-Goldwyn-Mayer. Der stellte ihm neben der für damalige Verhältnisse sensationellen Summe von einer Million Dollar auch Rollen als Hauptdarsteller in Hollywood-Produktionen in Aussicht.

Ob der folgende Karriere-Knick Orbisons am Wechsel lag oder am geänderten Geschmack des Publikums, lässt sich kaum noch ermitteln. Fest steht, dass 1967 "The Fastest Guitar Alive", der einzige Film, in dem Orbison je die Hauptrolle spielte, gnadenlos floppte. Wie auch die zwölf MGM-Alben, die er bis 1973 aufnahm. Die bestplatzierte Single aus diesen Jahren, die erste ("Ride Away"), erreichte einen mageren 25. Platz.

Privat musste der Sänger mit dem melancholischen Bariton noch schwerere Schläge hinnehmen. 1966 verunglückte seine Frau bei einem Motorradausflug tödlich, im August 1968 brannte sein Haus in Hedersonville bei Nashville ab. Zwei seiner Söhne starben in den Flammen.

Im Januar 1969 beschloss Orbison, sich mit Arbeit abzulenken, und kehrte ins Studio zurück. Das erste Lied, das er aufnahm, war "Child Woman, Woman Child", eine etwas geladenere Version seines Hits "Oh, Pretty Woman". Es folgte die Aufnahme eines Stücks, das er bereits zwei Jahre zuvor eingesungen hatte: "Sweet Memories". Bis Mitte März, als er für eine Tour nach Großbritannien aufbrach, hatte er genügend Material für mindestens ein neues Album beisammen.

Den letzten Schliff erhielten die Aufnahmen im August 1969, die Veröffentlichung war für November vorgesehen. Doch das Album verschwand in den Archiven von MGM. Vermutlich, weil es eine der drei Platten war, die Orbison in jenem Jahr laut Vertrag abliefern musste. Angesichts seines Mangels an Erfolg: offenbar eine zu viel.

"One Of The Lonely Ones" tauchte wieder auf, als sich Orbisons Kinder Alex, Roy Jr. und Wesley, die sich Roy's Boys nennen, an die Aufarbeitung der MGM-Zeit machten. Zeitgleich veröffentlicht Universal eine Box-Set jener Jahre auf 13 CDs/LPs inklusive B-Seiten und Singles.

Das Album kommt nicht an die Klassiker heran, weil es zu routiniert und geschmeidig arrangiert ist. Der Opener "You'll Never Walk Alone" gerät so schnulzig, dass sich nicht einmal Liverpool-Anhänger allzu sehr dafür erwärmen dürften. Dennoch legen die Stücke ein Zeugnis von Orbisons einzigartiger Stimme ab. Trotz Schüchternheit und mangelndem Selbstvertrauen habe seine schiere Anwesenheit dazu geführt, alle Anwesenden zum Schweigen zu bringen, erklären jene, die ihn kannten.

Als 1963 er mit den Beatles in Großbritannien auf Tour ging, war er es, der oft den größten Applaus erhielt. Ob Bob Dylan, Tom Petty, Bruce Springsteen oder Elvis Presley: Alle zeigten sich vom ursprünglichen Man in Black fasziniert.

Warum, das belegt das einzige herausragende Stück dieses Albums, der Titletrack. "I'm sick, I'm tired, I'm uninspired / I'd rather be dead and done / Than to be what I've become / One of the lonely ones", fasst er seine Stimmung in den schlimmsten Tagen seines Lebens zusammen. Worte, die er mit seiner ganzen Seele gesungen hat.

Trackliste

  1. 1. You'll Never Walk Alone
  2. 2. Say No More
  3. 3. Leaving Makes The Rain Come Down
  4. 4. Sweet Memories
  5. 5. Laurie
  6. 6. One Of The Lonely Ones
  7. 7. Child-Woman, Woman-Child
  8. 8. The Defector
  9. 9. Give Up
  10. 10. Little Girl (In The Big City)
  11. 11. After Tonight
  12. 12. I Will Always

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