laut.de-Kritik
Funkelnde Kostbarkeiten am Ende des Pop-Regenbogens.
Review von Artur SchulzMit dem Song "Bis Auf Letzte Nacht" erreichte die Formation einen achtbaren achten Rang bei Raabs Bundesvision Song Contest - aber vom Hocker haut mich die Nummer noch immer nicht richtig, trotz seines aparten Beach Boys-Zwischenspiels. Die aktuelle Single-Auskopplung "Es Kann Sein (Die Wüste Lebt)" ist ebenso ein allzu kalkuliertes Dudelradio-Opfer, wenn auch nicht gänzlich unnett.
Und dann sind da noch die zwei Interludes bzw. Zwischenspiele, von denen "Montgomery Clift" dank seiner Kürze (40 Sekunden) ganz ordentlich als Bindeglied zwischen zwei Songs funktioniert. Das über fünfminütige "Jeanne Moreau" hingegen lässt mich komplett ratlos zurück - außer zu Beginn passiert da musikalisch rein gar nichts. Womöglich sollte ich das Teil mal satanisch rückwärts abspielen, und es gehen die Erkenntnis-Lichter an. Egal! Auf zu den Schönheiten des Albums, an denen zweimal auch Bernd Begemann seinen Anteil hat.
"Frieren Im Sommer" gefällt als typisch van Dyke-versponnener Hintergründler mitsamt rundem Aufbau und liebevollen Sound-Accessoires. Das ewige Thema "Schatz, ich hab' dich betrogen, habe es aber nicht gewollt" ist dank seiner amüsanten Umsetzung "Rumgemacht" der heimliche Hit des Albums. Natürlich, ist doch bekannt: Wenn so was tatsächlich passiert, sind sie doch gänzlich unschuldig, die Männer. Diese schrecklichen Umstände, die sind es!
"Süße fremde Haut / hat es mir erlaubt" lautet die Entschuldigung, und: "Süße Eitelkeit / ganz billig zu haben" stellt den finalen Stoff, aus dem Seitensprünge gemacht werden. Aber: "Ich stelle nicht in Frage / außer vielleicht / dass ich dich niemals wollte", um danach rasch hinzuzufügen: "... so sehr wie jetzt".
Der "Engel An der Wand" bedient sich ungeniert an Sixties-Beats, und gewinnt besonders durch den Schlussteil mit seinen soundtrackartigen Collagen-Momenten kräftig an Profil. Ein Kunstgriff, von dem später besonders "Ich Versuche Dann Ruhig Zu Bleiben" profitiert, im Arrangement-Geiste ein würdiges Pendant zum fantastischen "Zwillingsbruder" vom Debüt-Album "Tägliche Landschaft". "Verrückt Nach Dir" bewegt als kleine, charmante, mit Akustikgitarren versehene Walzerseligkeits-Liebeserklärung. Oder Seitensprung-Entschuldigung, der kein Frauenherz wirklich widerstehen dürfte.
"Serge" bedeutet den ganz persönlichen, großen Wurf von Michel van Dyke mit einer Hommage an Serge Gainsbourg und Jane Birkin. Musikalisch und textlich den Überklassiker "Je T'aime ... Moi Non Plus" zitierend, erinnert sicher nicht nur mich seine Umsetzung an die eigenen Empfindungen beim ersten Hören des Songs, z. B. auf einem Klassenfest: Schließlich "War ich zu jung, um mitzusingen / doch alt genug, zu wissen, was mir entging".
Die ganz große, schwelgerische und unwiderstehliche Pop-Geste gelingt mit "Frei Für Eine Neue Illusion", das ganz in der Tradition von herausragenden, früheren van Dyke-Kompositionen wie "Neu In Dieser Stadt", "Paradies", "Haut" und "Mitgefühl" steht.
Doch hier - im Gegensatz zu den vorigen Titeln - ohne das opulente Orchester, sondern neben den akustischen Akkorden nur mit zurückhaltenden, dezenten Streichern im Hintergrund. Wozu auch überflüssiger Pomp? Ist diese Nummer allein in Sachen Songwriting doch sowieso das, wonach sich jeder Deutschpop-Act (oft genug vergeblich) die Finger leckt. Hier wird sie auf den Punkt gebracht, unsere ständige Suche nach goldenen Zeiten ohne Enttäuschungen, indes wohl wissend, dass es ewiges Glück nie geben wird: "Gemischte Gefühle / sind immer zu haben / doch fall' ich wieder tief hinein / mit weit offenen Armen". Denn: "Ich bin wieder frei für eine neue Illusion / vielleicht ist was dabei / was sich diesmal lohnt".
Im Duett mit Leo gibt Annett Louisan einen süffigen Part in der engtanzbaren und eleganten Bossa Nova-Fingerübung "Das Kann Man Nicht vergleichen", die im Fortlauf mitsamt singender Säge gar listig in Götz Alsmann-Territorien wildert.
Klar ist bei den drei Hamburgern natürlich auch: Auf vielen Songs schimmern die Sixties durch, doch nie in Form eines aufgesetzten Stilmittels, sondern bedacht ausgewählt als willkommene Begleit-Koloratur. Bestes Beispiel dafür: Der berührende Bonus-Track "Herz In Kommission", der sich zarte Eleanor Rigby-Tupfer erlaubt.
Wie nur wenige andere verstehen es Ruben Cossani, ganz wundervoll funkelnde Kostbarkeiten am Ende des Pop-Regenbogens zu verstecken. Man muss sich nur die Mühe machen, sie auch entdecken zu wollen.
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