laut.de-Kritik

Das Trio besinnt sich auf den melodischen Geist der 80er Jahre.

Review von

Die progressiven Geister unter uns markieren jeden Veröffentlichungstag einer neuen Rush-Platte rot im Kalender. Das dürfte auch 2007 mit "Snakes & Arrows" kaum anders sein.

Zuletzt musste der arme Vorgänger "Vapor Trails" deftige Haue einstecken. Zu laut, zu krachig, zu zerfranst, hieß es. Wer sich dem anschließt und sich nach der melodiösen Verspieltheit der Zeit zwischen "Signals" und "Roll The Bones" zurück sehnt, dürfte beim Hören von "Snakes & Arrows" feuchte Augen bekommen. Selbst wenn Synthesizer - anders als früher - im Bandkontext heute kaum mehr eine Rolle spielen, atmen die Kompositionen immer noch den Geist Achtziger mit den damals vorherrschenden sehnsüchtigen und tragischen Melodiebögen.

Seltsamerweise kommt mir immer wieder "Presto" in den Sinn, auch wenn die Atmosphäre der Scheibe weitaus wärmer wirkt als beim furztrocken produzierten Werk von 1989. Dann wird es wohl an den Melodien liegen, die ähnlich bockstark klingen wie das - meiner Meinung nach - meist unterschätzte Album der Rush-Historie.

Das geht schon mit dem Opener "Far Cry" los, der nach einem Intro mit filigran gesetzten Breaks zuvorderst von Geddy Lees Gesang getragen wird, der immer wieder für erfrischende Wendungen in der Melodieführung sorgt. Diese windet sich wie die im Titel erwähnten Schlangen einfach herrlich zwischen dezent kraftvollen Riffs und Neil Pearts exzellentem Drumming (inklusive Galopp über die Toms) empor. Im Fußball würde der Phrasenschwein-Begriff von der kontrollierten Offensive die Runde machen, denn trotz Verve in der Darbietung, beherrscht diese die Komposition nicht. Nach mehreren Durchläufen macht sich vielmehr eine getragene Euphorie breit. Der geschickte Wechsel von E- und Akustik-Gitarren verleiht dem Ganzen einen überaus angenehmen Touch, den nur noch Geddys stimmliche Leistung toppt.

"Armor And Sword" übertrifft diesen ersten guten Eindruck tatsächlich noch. Äußerst schleppend und am Rande des Balladesken balanciert der wohl stärkste Album-Moment auf der Rasierklinge und beginnt mittendrin auf selbiger zu tanzen, wenn die Thematik der Lyrics sich eins zu eins im Sound widerspiegelt. Die Verteidigungshaltung im emotionalen Bereich - von grollendem Riffing unterstützt - weicht einer zarten und luftigen Auflösung, wenn von einer sicheren Heimstatt in der dunklen kalten Nacht die Rede ist. An dieser Stelle greifen die drei Händepaare der Band in einzigartiger Weise ineinander. Pearts poetische Texte finden ihre Entsprechung in der klanglichen Umsetzung seiner beiden Brüder im Geiste.

Die Zusammenführung der einzelnen Fähigkeiten zu einem homogenen Ganzen gelingt "Workin' Them Angels" nicht so ganz. Erneut schwingt der "Presto"-Geist in volltönenden Dur-Akkorden mit, Zwischenparts mit lautmalerischen Zeilen gefallen sehr gut: "Memory humming at the heart of a factory town, ... memory drumming at the heart of an English winter, memories beating at the heart of an African village." Alleine die Verbindung zwischen den einzelnen Bestandteilen wirkt ein klein wenig gestelzt.

Das Trio kann aber auch unverkrampfter. "The Way The Wind Blows" spielt zu Beginn mit Trommel-Sounds, die geradewegs aus einem Kriegsfilm kurz vor der entscheidenden Schlacht entsprungen scheinen. Nach der kurzen Einleitung macht der Track einen unvermittelten Schwenk hin zu ausufernden und Pink Floyd-lastigen Blues-Licks, ehe kurz darauf wieder der typische, rollende Rush-Rhythmus einsetzt. Die hier aufkeimende Beschwingtheit setzt sich im - leider nur - knapp zweiminütigen Instrumental "Hope" fort.

"Feith" zeichnet - typisch für das Album - eine etwas ruhigere, hymnischere und getragene Vorgehensweise aus, plätschert leider - trotz dezent und akzentuiert eingesetzter Synthies - etwas vor sich hin. Die oben erwähnte Lockerheit, Entspanntheit und - bei den Kanadiern nicht oft anzutreffende - warme Verbindung von verspielten progressiven Elementen und locker hingeworfenen Blues-Fragmenten macht die aufkommende Verkrampftheit jedoch wieder wett. Nach der Rush-Durchschnittskost "Good News First" und einem erneut nur zweiminütigen Instrumental ("Malignant Narcissism") beschließt ein "Hold On" in großartiger Manier das Album.

Der Aufbau des Tracks ist fein austariert, mit einem Mörder-Riff aus Lifesons umfangreichem Fundus an Spielfertigkeit. Hier zelebrieren die Musiker beispielhaft für "Snakes & Arrows" die Verbindung aus alt und neu. Sauber produzierte melodische Klänge mischen sich mit Lifesons extravaganteren Soli-Spielereien. Wer das Trio nach "Vapor Trails" noch abschreiben wollte, dem halten Rush die sinnbildlich stehenden Zeilen entgegen: "We could be down and gone, but we hold on." Und dem ist kaum etwas hinzuzufügen.

Trackliste

  1. 1. Far Cry
  2. 2. Armor And Sword
  3. 3. Workin' Them Angels
  4. 4. Larger Bowl
  5. 5. Spindrift
  6. 6. Main Monkey Business
  7. 7. Way The Wind Blows
  8. 8. Hope
  9. 9. Faithless
  10. 10. Bravest Face
  11. 11. Good News First
  12. 12. Malignant Narcissism
  13. 13. We Hold On

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87 Kommentare, davon 44 auf Unterseiten

  • Vor 17 Jahren

    So wirklich arm war Vapor Trails doch nicht. Ich gehöre zu der Fraktion der Rush-Hörer, die dieser Band auch einmal eine etwas nicht ganz so stimmiges Album zugestehen.
    Aber zu den Schlangen und Pfeilen: der Opener "Far Cry" hat einen eingebauten und sofort zündenden Nachbrenner, so wie der Song nach wenigen Sekunden loslegt. Ein Grower, der erst etliche Umdrehungen im Player braucht, ist das Album für mich nicht. Dazu zünden einfach zu viele Songs nach kurzer Zeit.
    Es ist toll zu hören, wie nah Rush wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren. Die fast extrem druckvollen und energetischen Basslinien von Mr. Lee sind schon ein Ohrenschmaus. "The Main Monkey Business" fällt noch als wirklich genial-heißes Instrumentalstück mehr als auf, wirklich hervorragend.
    Und es stört bei all der Energie, Spielfreude und dem puren Rock nicht allzu sehr, daß auch hier praktisch alle Synthies durch Abwesenheit glänzen. Auf jeden Fall haben Rush hier ein Album abgeliefert, daß ich in dieser Art noch vor ein paar Wochen nicht so umwerfend erwartet hätte. Und daß man zwischendrin noch bei "The Way The Wind Blows" diesen ungewohnten Blues-Touch hört, ist ein besonders schönes Gimmick.
    Meine Wertung: 9/10.

  • Vor 17 Jahren

    Zitat (« So wirklich arm war Vapor Trails doch nicht. »):

    hab ich auch nicht behauptet