laut.de-Kritik
Glorreiche Hymnen und filmreife Allüren.
Review von Jasmin Lütz"Die meisten Menschen leben für die Liebe und die Bewunderung, doch wir sollten durch die Liebe und die Bewunderung leben." (Oscar Wilde)
Sam Vance-Law schließt man sofort ins Herz. Er hat eine wunderbare Stimme und komponiert tolle Pop-Melodien. Zudem verfügt er über die Begabung, Humor und Emotionen perfekt miteinander zu vereinen, und spielt dabei von Anfang an mit offenen Karten.
Der Musiker kommt ursprünglich aus Kanada, wuchs in England auf und wohnt nun schon seit einiger Zeit in Berlin. Hier nimmt er auch sein Debüt-Album "Homotopia" auf. Für das glamouröse Prachtstück ließ er sich drei Jahre Zeit. Es birgt eine tiefgründige Offenbarung über das Erwachsenwerden und die heimlichen Begierden, glorreiche Hymnen und filmreife Allüren: ein pretty Soundtrack für die Liebe.
Während viele Jugendliche mit Popmusik groß werden, begeistert sich Sam für die klassischen Töne. Bei Opern und Chorgesängen vergisst er die Welt um sich herum. Seine vielen Reisen und Bekanntschaften führen ihn aber irgendwann an der Indie-Gitarre nicht mehr vorbei. All die Begegnungen und Freundschaften mit verschiedenen Musikern, vor allem Konstantin Gropper (Get Well Soon) und Max Gruber (Drangsal) tragen zu seinem Erstlingswerk bei.
Dazu kommen die vibrierenden Kunst- und Theaterstätten, die Queer-Szene, seine ganz persönlichen Unsicherheiten, der Umgang mit Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft und der Sinn für romantische Liebe. All das und noch viel mehr steckt er nun in eine wunderbare Pop-Oper, offen und impulsiv, voller Leidenschaft, Poesie, Melancholie und Ironie.
"Homotopia" pendelt zwischen Tragik, Drama, Lustspiel und Komödie. Ihr Hauptprotagonist Sam Vance-Law steht nicht nur wegen seines Gesangs im Scheinwerferlicht, sondern auch wegen seiner Geschichten und Erlebnisse, die ihn vor allem nach seinem Outing begleiten.
Aber auch musikalisch bleibt das Debüt sofort im Gedächtnis. Das Orchester-Arrangement aus Bläsern und Streichern, die Ukulele- und Pianobegleitung und immer wieder große Pop-Gesten, machen diese zehn Songs zu etwas ganz Besonderem. Der geschulte Gesang von Sam kommt gleich zu Beginn, in "Wanted To", zur Geltung und trägt auch in den weiteren Stücken zur harmonischen Stimmung bei.
Die Liebe auf den ersten Blick passiert nur in romantischen Komödien? Nein. Es muss auch nicht immer in der klassisch-spießigen Wohlfühl-Familie enden: Kind, Hund, Haus im Grünen. Dann lieber spontan die Hochzeitsglocken im Nachtclub läuten: "Let's Get Married". Oder einfach mal mit der Tür ins Haus fallen und seine sexuelle Orientierung öffentlich thematisieren.
Die erste Singleauskopplung "Prettyboy" jedenfalls entpuppt sich als der perfekte Hit, um die Tanzfläche zu stürmen. Da wird sogar das Altersheim zur Diskothek, wie man im Videoclip sieht. Kumpel Drangsal hat hier auch einen Gastauftritt.
So wie einst Adam Green ("Friends Of Mine") vereint auch Sam Vance-Law kritische Aussagen mit lustigen Anekdoten aus dem täglichen Leben. Es muss den Hörer erschrecken und im selben Moment wieder zum Lachen bringen: eine unverkrampfte Art, über alltägliche Feindseligkeiten, Homophobie und Rassismus zu schreiben.
Um andere lieben zu können, muss man zunächst sich selbst lieben und dabei möglichst nicht den Boden unter den Füßen verlieren. Da besteht keine Gefahr bei Sam Vance-Law: "Yes, I would sleep with myself." "Narcissus 2.0" klingt nach einer beschwingt-gesunden Selbstverliebtheit, die man allerdings auch nicht immer zu ernst nehmen sollte. Eigentlich findet sich der Sänger selbst gar nicht so geil.
Ernster wird es dann mit "Isle Of Man". Darin geht es um einen Ehemann, der seine Familie über alles liebt, sich aber immer wieder zu Männern hingezogen fühlt: "Isle of Man is an island in the sea of things I don't tell people about me. It's a secret place where I live my fantasy in the company of men who feel free." Die tragisch-rührende Stimmung zerrüttet "Gaybe" natürlich gleich wieder. Mit Humor und Sonnenschein-Rhythmen erreicht man eben oft mehr.
In der Kirche stand und sang Sam schon häufiger. Er war Chorknabe im Choir of New College Oxford. So klingen die Choräle in "Faggot" himmlisch süß, bis sie ganz plötzlich euphorisch voller Gitarrensound unterbricht und zur Beichte bittet: "I love god but he doesn't love me." Ist das Blasphemie oder einfach nur göttliche Eingebung?
Wenn man in der Popkultur groß geworden ist, dann sind einem nicht so viele Opern bekannt. An Mozarts "Zauberflöte" kommt man allerdings schwer vorbei. Somit fühlt man sich bei so manchem Flötenspiel auf "Homotopia" an Papagenos und Papagenas Liebes-Singspiel erinnert.
Mit "Bye Bye Baby" endet die nachhaltig beschwingte Uraufführung. Melancholische Streicher machen den Abschied nicht einfach, man wünscht sich den Protagonisten wieder sehr bald auf die Bühne zurück und freut sich schon jetzt auf ein fröhliches Wiedersehen mit Sam Vance-Law.
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