laut.de-Kritik

Gelungenes Portrait mit kleinen Schwächen.

Review von

Pünktlich zur Adventszeit servieren die Folkrocker ihren Anhängern ein ganz besonderes Schmankerl. Die Wacken-Konzert-DVD "Sinnbilder" zum zehnjährigen Jubiläum fällt nämlich im Vergleich zu den gängigen Live-Filmchen deutlich anders aus.

Das liegt vor allem an der cleveren Umkehr des Bonusmaterial-Konzeptes. Was sonst oft lieblos als zusammengeschusterter Zusatz in einer finsteren Menü-Ecke versteckt wird, gerät bei den Münchnern zum Schwerpunkt. Wer die DVD einwirft und chronologisch ansieht, wird nämlich zunächst mit einem mehr als einstündigen ausführlichen Bandporträt überrascht.

Das Nicht-Skippen lohnt sich. Es soll nichts verraten oder vorweg genommen werden. Deshalb sei nur gesagt, dass jedes einzelne Bandmitglied in seinem Zuhause ein Interview gibt. Hierbei thematisieren die Musiker ihre Rolle in der Band ebenso wie Biografisches und Privates. Aus der Offenheit der Äußerungen im privaten ureigenen Umfeld ergeben sich ungewöhnlich persönliche Einblicke in die einzelnen Charaktere. Tierfreunde sollten besonders auf den wirklich herzerwärmend niedlichen Hundewelpen von Geigerin Anna Katharina Kränzlein achten. Man kommt als Betrachter der Schandmäuler gar nicht umhin, die sechs sympathischen und sehr unterschiedlichen Bayern sofort ins Herz zu schließen. Der Fan frohlockt; den Neuling befällt sofort Neugier gemischt mit Vorfreude auf die Musik. Das ist sehr geschickt gemacht und zu natürlich, um kalkuliert zu sein.

Der folgende Wacken-Gig kann die geschürte Erwartungshaltung danach nur bedingt erfüllen. Das musikalische Konzept des Sextetts besteht ja seit jeher aus einer etwas derben Mischung aus Hauruck-Rock und melodischen Folkelementen, die Schandmaul mit mittelalterlichen Instrumenten umsetzen. Solche Musik funktioniert live einfach besser als auf CD. Das große Plus der Lästerzungen besteht deshalb auch darin, dass Sänger Thomas Lindner von der ersten Minute an einen Draht zum Publikum hat. Er ist eine fast perfekte Mischung aus Interpret und Anheizer.

Musikalisch hingegen lebt das Konzert weniger von den kompositorisch überschaubaren Rock/Metal-Elementen. Tragende Säulen beim Auftritt sind vor allem die beiden Damen in der Band. Die klassisch ausgebildete Geigerin Anna Katharina spielt virtuos und furios auf, als sei sie die Hexenschwester von Paganini. Ebenso geschickt setzt Birgit Muggenthaler ihren Dudelsack mal dominant, mal zurückgenommen ein. Das Zusammenspiel der beiden auf der Bühne ist eine Art Two-Women-Show, die dem Publikum in jeder Minute den Spaß an der Sache offenbart.

Der einzige gravierender Minuspunkt ist mitunter die Qualität des Gesangs von Lindner, der deutlich unter seinen Möglichkeiten bleibt. Die Phrasierung ist stellenweise - vor allem, wenn er sich hüpfrockend bewegt - recht abenteuerlich. Die tonale Sicherheit ist auch nicht immer vorhanden. Es fehlt mitunter der rechte Druck bei laut zu singenden Stellen. Das wirkt zeitweilig fast schon atemlos. Ein allzu oftes Flüchten in typischen Mittelalterrock-Marktschreiergesang ist da wenig hilfreich. Das ist sehr schade, denn bei den klar gesungenen Songs wie "Dein Anblick", zeigt er, dass er es eigentlich drauf hat.

Technisch gibt es an der DVD nichts auszusetzen. Der Sound ist klar und perfekt gemischt. Die Schnitte sind ein wenig zu hektisch und verweilen zu selten auf den einzelnen Musikern. Alles in allem überzeugen die Lästerzungen als atmosphärische Folkrockband für die hauseigene Party. Die offenbarten Schwächen machen sie mit Enthusiasmus wett. Die Entwicklung der Band ist nach zehn Jahren erkennbar noch nicht abgeschlossen. Aber wer sich so natürlich zeigt und gleichzeitig die Massen zum kochen bringt, macht vieles richtig.

Trackliste

  1. 1. Das Porträt
  2. 2. Herren Der Winde
  3. 3. Leb
  4. 4. Drachentöter
  5. 5. Das Tuch
  6. 6. Feuertanz
  7. 7. Kein WegZu Weit
  8. 8. Der Tyrann
  9. 9. Die Tür In Mir
  10. 10. Lichtblick
  11. 11. Mitgift
  12. 12. Vogelfrei
  13. 13. Walpurgisnacht
  14. 14. Dein Anblick
  15. 15. Frei

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3 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Ulf: bisher kamen die Schandmäulchen hier eher schlecht weg.
    Und vorab: die DVD werde ich mir wohl selbst zu Weihnachten schenken. ;)
    Das Konzept, wie Du es beschrieben hast, liest sich auf jeden Fall gut an, insbesondere bin ich auf diese etwas anderen Interviews bei den Bandmitgliedern zu Hause gespannt. Das könnte tatsächlich ein recht spannendes Porträt werden.
    Ich kenne die Band schon sehr lange, fast so lange, wie es sie gibt und WAR in den ersten ca. 2 Jahren sogar einmal mit Lindner und Birgit Muggenthaler....na ja, nicht gerade wirklich persönlich bekannt, aber auf 3 oder 4 Gigs in der Anfangszeit begrüßten wir uns halt.
    Du merkst, hier schreibt ein zumindest ehemaliger Fan der Band, der sich aber seit auch wiederum gut 2 Jahren nicht mehr so sehr mit Schandmaul wie auch weiteren 2 oder 3 ehemals geschätzten Bands aus diesem Bereich beschäftigt hat.
    Also eine gute Gelegenheit, das über Weihnachten nachzuholen und über längere Zeit nicht beachtete Dinge wieder ein wenig mit Leben zu füllen.

  • Vor 16 Jahren

    waren die vocals bei den gigs, die du gesehen hast, auch schon so bedenklich oder war der mann in wacken erkältet?

  • Vor 16 Jahren

    Teilweise bedenklich. Lindner hatte ja in früheren Zeiten "klassichen" Gesangsunterricht genossen. Von daher sollte er eigentlich in tonaler Hinsicht sattelfest sein. Ich habe ihn schon sehr gut bei Stimme erlebt, aber auch schon...so lala. Ich hatte dabei das seltsame Gefühl, der Kerl vergisst manchmal bei physischer Verausgabung ein bissel was. Es gab auch schon Leute bei Gigs, die sagten, Lindner solle mal ein bissel an seiner Kondition arbeiten. ;) Manchmal geriet er recht fix außer Puste.