laut.de-Kritik

Die zulässige Kitschgrenze wird hier nicht überschritten, sie wird pulverisiert.

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Ein singender Stuntman? Das hatten wir ja seit Lee Majors nicht mehr! Zugegeben: Sebastian Hämer konnte seinen Berufswunsch, in Colt Seavers' Fußstapfen zu treten, nach einem Unfall nicht mehr in die Realität umsetzen. Zum Ausgleich wurde er dafür mit einem Gesangstalent gesegnet, das den Unknown Stuntman von einst beschämt in die Ecke verweisen dürfte.

Vorab und bevor ich mich der Lynchjustiz der in wenigen Minuten zweifellos empörten Fangemeinde stellen werde: Ich halte Sebastian Hämer für einen überaus begabten, stimmgewaltigen Sänger, dessen wirklich wundervolle, warme, kraftvolle Töne die eines Xavier Naidoo, mit dem er permanent verglichen wird, verblassen lässt. Darüber hinaus schätze ich das Duo Pelham/Haas als Produzenten, die wuchtige, melancholische, atmosphärisch dichte Klanglandschaften gestalten, wie es in Deutschland kaum jemandem sonst gelingt.

Warum zum Teufel tu' ich mich trotzdem so überaus schwer mit dem "Fliegenden Mann"? Verehrte Freunde: Es muss wohl an der alles beherrschenden Schwülstigkeit liegen. Jeder Track für sich erweist sich als durchaus hörbar - für ganz und gar unerträglich erachte ich einzig "Mein Dank", das nach recht pfiffigen Streichern zu Beginn schließlich pompösen Orchester-Sound auffährt. Pardon, aber: Die zulässige Kitschgrenze wird hier nicht überschritten, sie wird pulverisiert.

Ich habe mir oft gewünscht, Xavier Naidoo brächte es fertig, mal eine Nummer zu singen, in der sein Gott nicht die Hauptrolle abonniert hat. Nun, hier kommt Sebastian Hämer, erfüllt meinen Wunsch, und ich stelle fest: Ich halte es nicht aus. Auch, wenn er auf religiöses Pathos wohltuend verzichtet: Die Dosis an schmachtender Sehnsucht, Theatralik, Beziehungsende-Szenarien, verletztem Männerstolz und Weißer-Ritter-Attitüde bringt mich an den Rand der Verzweiflung. Davor bewahrt weder die absolut saubere Produktion, noch die entzückend eingesetzte Schimpfwort-Flut in "Immer Noch" oder die Zorro-Szenerie aus "Mit Maske".

Auch die Idee, mittels Musik "Erste Hilfe" zu leisten: Ein schöner Gedanke, der wie die übrigen Bonbons von Tracks wie "Nur Mit Dir", "Warum Sagst Du's Nicht Ihm?" oder "Erinnerung" in einer klebrigen Soße aus Selbstmitleid ertrinkt. Man möchte den Interpreten an den Schultern packen und durchschütteln. Ja, verdammt! Ein ordentlicher Herzbruch dauert eben nicht nur 14, 30 oder 100 Tage - das ändert aber doch nichts daran, dass das Leben schön ist!

Einen derartigen Song ertrage ich, während des zweiten kann ich meinen Humor beobachten, wie er mit Grauen das Weite sucht. Auf Album-Länge: Reden wir nicht davon. Großes Gefühlskino ist eben nicht jedermanns Sache.

Moses Pelham sorgt mit seinem Part in "Das Beste" für hochwillkommene Abwechslung und entschädigt somit gleich für die Verwendung des Samples aus dem gleichnamigen schauderhaften Titel von Lemonbabe Diane. Sebastian Hämer gesteht seiner Hörerschaft Raum für eigene Interpretationen zu: Was denn nun tatsächlich "Das Beste" ist, das bleibt ebenso offen wie die Identität der mysteriösen Dame in "Mein Interesse Gilt Ihr": Wer ist diese "sie"? Frau? Tochter? Die Katze? Musik? Und worauf wartet die kalte Welt? Auf den Mann mit dem Koks? Wir wissen es nicht.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Erste Hilfe
  3. 3. Sommer Unseres Lebens
  4. 4. Mein Dank
  5. 5. Immer Noch
  6. 6. Tag Und Nacht
  7. 7. Nur Mit Dir
  8. 8. Unzertrennlich
  9. 9. Mein Interesse Gilt Ihr
  10. 10. Mit Maske
  11. 11. Wieso Sagst Du's Nicht Ihm?
  12. 12. Nichts
  13. 13. Das Beste feat. Moses Pelham
  14. 14. Erinnerung
  15. 15. Unterwegs

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