laut.de-Kritik

Lieber tot sein als diskutieren.

Review von

"Hödn", was ist das? Nichts zu essen und auch kein Körperteil. Seiler und Speer besingen sich selbst als "Helden", retrospektiv. Manche Leute leben ja für das, was man später mal über sie sagen wird. Das österreichische Duo mit dem satirischen Twang wirft einen freudigen Blick voraus auf den Tod als sicherstes Lebensereignis und die Prognose, was nach dem Ableben über einen gedacht werden wird oder was "irgendwann im nächsten Leben" folgt. Die Grundhaltung: "Jo, manchmoi planlos, jo, manchmoi hilflos, aa / Oba mir geniern uns ned, naa."

Mitte 'Jänner', also in einer grauen Jahreszeit, da fühlten sich Christopher, der 'Seili', Bernhard Speer, und ihr Produzent Daniel Fellner startklar, vorliegende Platte aufzunehmen. Diese im Frühsommer zu releasen und die düstere Aussicht unser aller Endlichkeit breitzuwalzen, wirkt wie eine Mischung aus makaber, sarkastisch und provokativ.

Dabei wirkt die Musik deutlich weniger depri als die Lyrik. Von der hymnischen Folkock-Ballade "Die Letzte Maut" samt Mundharmonika über den warmen Americana "Tot Sei Waer Mir Lieber" mit der Hookline "Hobbts mi gern, i wüill sterm" bis zur dynamischen Punk-Schrammel-Klimax "Red Mit An Aundan" über apolitische Demokratie-Langweiler reicht die Bandbreite, stets gefüllt mit ironischen Zwischentönen.

Subtile Keyboards, Softrock-Akustikgitarre und Oooooohoho-Chorus unterlegen den bärbeißigen und düsteren Witz von "Tot Sei Waer Mir Lieber". Romantisierung trifft auf Überspitzung: "Im Leben trifft man auf so manch einö Gestolt / und hat dabei die Fäuste fest gebollt / man möchte lieber weg – weit weg vom Gegenüber – net folsch versteh / nua tot sei wär ma liaba." Herauskommt eine Lagerfeuer-Ballade der Marke "Fürstenfeld" von S.T.S., immer wieder versehen mit dem Hinweis "net falsch verstehen!". Die Süffisanz steckt auch in der Stimme, im genussvoll bösen Gesang, wie geschaffen fürs Kabarett. "Ja, ja, so schee kohn's sei, wann die Leute sie verstengan – schee kann's sei oder weärn / Ja, ja so schee kohn's sei, wann sie Lait ausm Weg genga."

Was in Austria ein Fall für die Chartsspitze ist, performt in der BRD und der Schweiz kommerziell weitaus weniger gut. Ob es am regional unterschiedlichen Humor oder an der eingeschränkten Verständlichkeit der Lyrik liegt? Als Quell des Frohsinns präsentieren sich die Wiener jedenfalls nicht. So sezieren sie Fragen des Zeitgeistes auf ihre Weise, zum Beispiel die Klimafrage: "Da Tesla steht / gibt kan Strom für d' Batterie." Paradox wirkt es, wenn sie das Thema Krieg wie bei einem Trinklied verpacken ("A Achterl"). Im mittelalterlichen Bardenstil instrumentieren die Jungs mit der feinen Beobachtungsgabe sanft, während sie verbal zubeißen: "Ka Kind des sp(ü)ielt / es marschiert (d)es Militär / weit ha(u)ma's brocht."

Für "In Ana Aundan Sproch" wechselt das Duo in die Sprache des südlichen Nachbarlandes, eine aufgesetzte Form von einfachem Italienisch. "Così tanta, così tanta musica / Ma quando ridi / Sarò sincero, è una sinfonia." Übersetzt: "So viel, so viel Musik / Aber wenn du lachst / Ich will ehrlich sein, ist es eine Sinfonie." Dass das wenig ertragreich ist und sich nah am Schlager bewegt, zeigt, wie sehr Seiler und Speer an ihren eigenen Zungenschlag gebunden sind und sich in der Kategorie Liebeslied schwer tun.

"Wann i da sog, dass i di mog oder wie fesch du bist / Da wird ma schau beim Schreibn richtig schlecht." Dabei komponieren die beiden - sowie Dirigent Christian Kolonovits, der sich mit Sinfonien auskennt, in den Credits genannt ist und schon als Pop-Coautor reüssierte, etwa bei den Hits "Es Lebe Der Sport" und "Schickeria" von Rainhard Fendrich - recht komplex. Bei der Akkordfolge denkt man hier an Wanda, zudem versprüht der Track Italo-Disco-Charme - ein interessanter Mix!

Fendrich und Kolonovits erfahren im tollen "Wean" noch ein würdiges Recycling. "Haben Sie Wien schon bei Nacht geseh'n?", fragen Seiler und Speer nach einem Funkrock-Auftakt in ihrer Hymne an die Hauptstadt ("Wans Nocht is in Wean / siehst an die Stean") und leiten dann in eine Rap-Metal-Reminiszenz über. Zitate originell einzubauen, ist eine Kunst, und Seiler und Speer beherrschen die literarische Disziplin der Intertextualität.

Als Ohrwurm zeigt sich auch "Die Letzte Maut", schon dessen folk-angehauchten Bläserriff setzt sich im Kopf fest. Und wieder steckt schwarzer Humor drin, den man mit Trigger-Warnung versehen müsste: "I glaub, i (...) häng mi im Stodtpark auf an Bam / Dann heat des Elend endlich auf."

Die vielseitigen Variationen über den Tod durch Krieg oder Suizid, reichen bis zum Verhungern, im letzten Stück "Bis Uns Daschlogn" kommt noch die Variante Totschlag mit ins Spiel. So oder so, wir sind endliche Wesen: "Sicha homma Föhler gmacht, oba daraus oft aah glernt (...) a poa ham uns verlassen ohne Grund und vü zu fruah. (...) Irgendwann is unser Zeit dann goa / doch sie wär'n sogen, dass ma moi Hödn woan / a jeda hod sei Packerl trogen." Die Schattenseite des Heldentums ist die Geldgier. "Die Echten rennan Träumen nach, die Schlechten da Marie." Die Marie ist im Österreichischen das Geld, man erinnere sich an "Ba-Ba-Banküberfall" von der EAV.

Zwischen subtilen Hip Hop-Beats im Intro des Titellieds "Hödn", herben Rock-Elementen mit satten Drums, Spoken Word-Abschnitten oder mal einer slighten funky Bassline auf einem Reggae-Punk-Rhythmus ("Red Mit An Aundan") zeigen sich die Herren ausgesprochen vielseitig. Mal wie eine wuchtige Party-Band im Stile von Le Fly, im nächsten Moment zarte Liedermacher, wagen Seiler und Speer den Brückenschlag. Teils gelingen diese sogar innerhalb eines Songs, wenn die Abschiedsballade in einen Mitsing-Stadionchorus mündet ("Irgendwie").

Die stilistische Versatilität macht den Reiz aus, erklärt jedoch nicht, wieso Amazon den Tonträger in der Kategorie K-Pop führt. Auch Themensprünge sind einkalkuliert, gerade wenn sie einen Comedy-Effekt aufweisen oder durch einen inneren Widerspruch lustig wirken. Tiefsinnig mit Wortspielen und mitunter unschuldig niedlich gesungen, kommen die teils scharfen Worte ums Eck, die an die pointierte und polemische Rhetorik von Wahlkämpfen erinnern.

Die "Ham Kummst"-Hitmaker haben eine doppelbödige Haltung zum politischen Diskurs. Einerseits karikieren sie, wie man in der Meinungsmache-Bubble-Welt trotz vorhandenem politischen Interesse die Lust am Diskutieren verliert. Andererseits ergründen Seiler und Speer, woher Populismus seine Gefolgschaft zieht. "Du bist vielleicht a liaba Mensch oba vahoits de wia a Viach (...) I wass, dei Meinung is da wichtig - oba wasst, dass d' ka Meinung host?! / Du sogst nur des, wos du grod gles'n host, nur les'n kannst hoid net. (...) Stehst deppat do und schimpfst (...) Du schimpfst es arbeitslose Gsindl, oba selber hacklst nix."

Würzig bis deftig in der Tonalität, wünscht der Ich-Erzähler, dem Stimmvieh eine zu scheuern ("Wird Zeit, dass ma dir ane boscht. Der Erzähler im Song gar durch, er wäre selbst Politiker, und was er tun müsste, damit ihm naive Leute auf den Leim gingen.

Wir enden mit einer eindrucksvollen Stelle aus dem Titelsong "Hödn", der schon 2022 auf "Red Bull Symphonic" erschienen ist und das blutleere Nacheifern materialistischer Zwischenziele aufs Korn nimmt: "So mancher Mensch lebt sei Leben wie an Füilm / ohne Handlung, ohne Wendung, ohne Herz und ohne Sinn / Wo die Höifte goa ned stimmt, und die andere koana braucht / a Leben wos nur g'lebt wird, um a anders zu verhau'n."

Trackliste

  1. 1. Mama Leonen
  2. 2. In Ana Aundan Sproch
  3. 3. Hödn
  4. 4. Tot Sei Waer Mir Lieber
  5. 5. Irgendwie
  6. 6. Red Mit An Aundan
  7. 7. Waun Da Wind Geht
  8. 8. A Achterl
  9. 9. Wean
  10. 10. Die Letzte Maut
  11. 11. Bis Uns Daschlogn

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Seiler und Speer – Hödn(Digipak) €18,98 €3,00 €21,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Seiler und Speer – Seiler und Speer, Neues Album 2025, Hödn, CD Digipack €34,90 Frei €37,90

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Seiler und Speer

Kabarettist/Schauspieler trifft auf Gitarre spielenden Filmemacher - genau so beginnt die Geschichte von Seiler und Speer im Jahr 2014. Da kreiert Christoph …

3 Kommentare