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"Beta" ist nicht nur der zweite Buchstabe des griechischen Alphabets und eine Begrifflichkeit aus der Welt der Technik, sondern jetzt auch der Titel der neuen Sickless-EP, die vier Jahre nach "Horus" erscheint. Über so einen langen Zeitraum nichts zu veröffentlichen, hat für manchen Künstler mit überschaubarer Fanbase fatale Folgen. Rapper schießen wie Pilze aus dem Boden, die Musik wird immer schnelllebiger und die Konkurrenz nicht schwächer. Dessen ist sich der Stuttgarter bewusst und stellt auf "Memento" ganz unverfroren die Fragen: "Kennst Du mich noch? Wie lang' brennt der Docht noch? Wie weit reicht mein Kosmos?"

Sickless will lieber im Hier und Jetzt statt in der Zukunft leben. Um dieses Credo ranken sich zahlreiche Metaphern, die sein Leben in der Zeit vor dem Comeback und auf dem Weg dorthin in den Vordergrund rücken. Nach nicht näher definierten Fehltritten in der Vergangenheit will er musikalisch wieder angreifen: "Tausch' den Trauerflor gegen die Kapitätsbinde."

Während seiner Abstinenz manifestierte sich bei ihm eine ausgeprägtere politische Haltung. "Himmel & Hölle" ist beispielsweise ein bildgewaltiger Versuch, den bestehenden Konflikt zwischen humanitärem Denken und blinder Kriegstreiberei um einen etwas anderen Diskussionsbeitrag zu erweitern. Aus der Vogelperspektive heraus betrachtet er verschiedene Haltungen und erörtert konträre, teils Doppelmoral behaftete Denkweisen: "Sehen Apostel im Spiegel, doch brüllen nach Chaos, Krieg und Vendetta." Sich von der eigenen Verantwortung loszusagen, liegt ihm aber fern: "Wir sind Wichser im Wahn und beschwören die biblischen Plagen / Kein Licht mehr in den Köpfen, die Finsternis naht."

Auch auf "Einstürzende Neubauten" taktiert er politisch. Worum es genau geht, erfährt man nicht. Deutet man den Titel und Lines wie "Im Smog der Sirenen siehst du von uns nur einen Schatten" und "Regel 1: Sag hiervon keinem Bescheid", könnte man meinen, Sickless setze sich mit Wohnungsleerstand und Wohnungsbesetzung auseinander. Gleichzeitig lässt eine Zeile wie "Scherben schmecken zäh, wenn die Zähne fehlen" Spielraum zu. Der nicht minder komplexe Themenbereich der Armut könnte gleichsam Gegenstand des Textes sein.

Dank des Gebrauchs von Metaphern und einer angenehm-unklaren Ausdrucksweise lässt Sickless viel Platz für Interpretationen. Ungeniert spricht der Wirscheissengold-Labelchef an, was ihm auf der Seele brennt. Dass die Texte so begeistern, liegt aber auch an der starken Delivery. Seine Stimme wirkt angenehm, hebt und senkt sich in den richtigen Momenten. Dazu klingt sein Vokabular über die EP-Länge von 21 Minuten nie redundant und kauft jenem einiger Genre-Kollegen mühelos den Schneid ab.

Das i-Tüpfelchen ist jedoch die Produktion. Allzu oft wirkt sich die Arbeit mit zu vielen Produzenten nachteilig auf das Gesamtwerk aus. 7apes ("Memento", "Einstürzende Neubauten", "Wattebeton"), Enaka ("Himmel & Hölle", "Antidot", Executive Producer der EP), Ghanaian Stallion ("Schwarzer Freitag") und Drum Quixote ("Einstürzende Neubauten") sorgen dagegen für ein vielfältiges Soundgerüst. Mal düster, mal mitreißend, manchmal bedrückend.

Die Synergie aus gehobenem Duktus, detailverliebter Produktion, metaphorischem Inhalt und erstklassigem Flow lässt keine Wünsche offen. "BETA" avanciert daher zu einem Pflichtprogramm für diejenigen, die es aussagekräftig und figurativ mögen. Und weil mich eine Line beim Hören besonders gecatcht hat, möchte ich damit auch schließen: "Mach' mein Kopfkino zur Vernissage / Bisschen mehr vom Moment, weniger Que sera."

Trackliste

  1. 1. Memento
  2. 2. Schwarzer Freitag
  3. 3. Einstürzende Neubauten
  4. 4. Himmel & Hölle
  5. 5. Antidot
  6. 6. Wattebeton

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