laut.de-Kritik
Das ganze Ausmaß des Teenager-Elends.
Review von Dani Fromm"Im Internet wird er als neues Wunderkind gehandelt." So tönt es wieder und wieder aus Promo-Kanälen, kommt die Rede auf Sierra Kidd. Dass diejenigen, die den Friesenjung so hochjubeln, immer die gleichen und rein zufällig seine Entdecker sind - wer würde dahinter schon eine Strategie vermuten wollen?
Ex-Freunde von Niemand-Strippenzieher Hadi El Dor und RAF Camora, der Sierra Kidd unter seine Fittiche und bei seinem Label Indipendenza unter Vertrag nahm, machen jedenfalls eine Menge Aufhebens um den jungen Kollegen, den sie im zarten Alter von 16 Lenzen als "schon annähernd kompletten Rapper" anpreisen. Was immer das sein mag.
Mit "Kopfvilla" soll Sierra Kidd nun das ganze Gewese, das im Vorfeld um ihn veranstaltet wurde, rechtfertigen. Keine ganz leichte Aufgabe, zumal es trotz der Windmaschinen im Rücken zunächst noch nicht einmal für ein ordentliches Debüt-Album, sondern lediglich für eine EP gereicht hat. Gerade fünf von Interludes verbundene Tracks umfasst "Kopfvilla". Einer davon zudem ein Remix des Titeltracks, mit dem Sierra sich überhaupt erst auf den Schirm brachte.
Die Auswahl mag ein wenig mager anmuten. Um sich einen Eindruck zu verschaffen, reicht das aber dicke - zumal Sierra Kidd offenbar ohnehin nur eine Gemütslage bedienen will: die klassische Heranwachsenden-Tragik. Seine Texte drehen sich um Einsamkeit, darum, sich ausgegrenzt, ungeliebt, unverstanden vorzukommen. Ohne jeden Zweifel weiß der Urheber der traurigen Zeilen, wie sich Mobbing anfühlt, wie unerwiderte Liebe schmeckt und wie es schmerzt, wenn man endlich den Mut zusammengekratzt und dem/der Angebeteten das Herz zu Füßen gelegt hat, und der/die Beschenkte kickt es dann achtlos oder - schlimmer noch - mit einem Witzchen in den Staub.
Sierra Kidd fängt all diese Situationen, Emotionen, das ganze Ausmaß des Teenager-Elends in seinen Worten ein. Denen, die die entsetzliche Zeit des Erwachsenwerdens mehr oder weniger unbeschadet hinter sich gebracht haben, mögen die besungenen Probleme ein wenig läppisch erscheinen. Vielleicht erinnern sie sich aber auch noch: Wer gerade mittenmang drinsteckt, durchlebt die Hölle. Genau hier dürfte sich die Zielgruppe finden.
Bei Sierra Kidd ist gar nichts "Easy". Sein Mentor RAF trifft es ziemlich gut: "Sehr melancholisch", beschreibt er seinen Schützling und dessen Welt, "düster, gleichzeitig aber auch verträumt. Rosa, lila, pink - und grau." Nur angemessen erscheint da, dass einer der Meister der Ton gewordenen Melancholie, Tua, seine Finger in der Produktion hatte.
Die instrumentale Seite packt durchaus auch den, dem aus Alters- oder sonstigen Gründen der Zugang zu den juvenilen Leidensgeschichten fehlt. Vielschichtige Klänge, stets in leichter Schräglage, illustrieren mit auf Gitarrensaiten quietschenden Fingern, verwehtem Sound und reichlich Hall, der wie Nebel über Ambient-Lichtungen kriecht, die empfundene Isolation. In sich zurückgezogen, abgekapselt von Welt und Gesellschaft, zeigt der Protagonist denen nur eine leb- und reglose, abgeklärte Fassade. Gar kein "Problem"? Wer das glaubt ...
Zuweilen ganz schön vertrackte Rhythmen offenbaren Sierra Kidds Gespür für Takt und spannende Reimstrukturen. Gesungene Passagen zeigen, dass der Junge neben der alles beherrschenden Melancholie zudem eine ordentliche Portion Melodie in der Stimme spazieren trägt. Wenn er - wie in "Alleinsein" oder "Signal" - nicht gerade den quengeligen, geschundenen, tragischen Zwilling von Cro gibt, hat Sierra Kidd durchaus interessante Facetten zu bieten.
Einem Album in ordentlicher Länge darf man also der ganzen Tristesse zum Trotz einigermaßen freudig entgegen sehen. Das befindet sich, glaubt man Sierra Kidd und RAF Camora, bereits in Arbeit und soll zusammen mit dem knospenden Frühling Einzug halten. Ob dann vielleicht sogar ein Pflänzchen Hoffnung in der Sierra keimen darf, wird sich zeigen. "Ticktack, die Zeit vergeht so schnell" - und sie heilt manche Wunde.
3 Kommentare
cro für rasierklingenfreunde..oh da war ja die review schneller
musik für die zeit zwischen den hausaufagben und gzsz
beats taugen schon was, tua besteht als einer DER Produzenten. Textlich eher uninteressant, zumindest für mich.
Also ich hab den Jungen heute aufm Rock am Ring gesehen. Es war echt grottenschlecht von der Musik und von den Texten. Ich bin dann gegangen als er sein neues Lied "WhatsApp" vorgestellt hat