laut.de-Kritik

Corgan glänzt mit Bauarbeiter-Dekolleté.

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In der öffentlichen Wahrnehmung stellt eine Band einen leicht zerbrechlichen Organismus dar. Drei, vier oder fünf Freunde müsst ihr sein. Julian, Dick und Anne, George und Timmy der Hund. Wird auch nur ein Mitglied ausgetauscht, war schnell früher alles besser. Dabei gewinnen die Musiker, die bei einer kreativen Talfahrt nicht mehr an Bord sind, schnell einen ähnlichen Stellenwert wie Fußballer, die bei einer schmerzhaften Niederlage aufgrund einer Verletzung oder einer Sperre nicht aufgestellt wurden. Mit Thorsten Frings hätten wir die Italiener 2006 vom Platz gefegt. Und mit Iha, Wretzky und Chamberlin an Bord, wären die Pumpkins heute die größte Band der Welt. Mindestens.

Die Realität sieht anders aus. Im Dezember 2012 steht Corgan mit seinen neu zusammengesuchten Musikern auf der Bühne des neu errichteten Barclays Centers in New York. Vor einer riesigen Kugel mit Sean Evans spektakulären Visuals geben sie ihren neusten Longplayer "Oceania", erweitert um ein paar alte Klassiker ("Disarm", "Ava Adore") und einer gelungenen Coverversion (David Bowies "Space Oddity"), zum Besten. Doch die Smashing Pumpkins 2.0 können im Grunde machen was sie wollen. In der Wahrnehmung der Musikwelt bleiben sie auf ewig die austauschbaren Befehlsempfänger des glatzköpfigen Kürbiskopfes.

Doch die Band, die niemals eine Chance bekommt, nutzt diese ohne mit der Wimper zu zucken. Der eher an einen guten Freund als einen Rockstar erinnernde Jeff Schroeder brilliert an der Gitarre und liefert sich mit Corgan manch Old School-Gitarrenduell. Wo Iha oft nur den Spuren seines Masterminds hinterschrammelte, findet Schroeder seine eigenen Wege. Bei manchem Solo mimt er den breitbeinigen Gitarrenhero aus längst vergessenen Zeiten. Nicole Fiorentinos geschicktes, oftmals an Peter Hook erinnerndes Bassspiel, stellt die im Exil eines Pferdehofs lebende D’Arcy Wretzky ohne weiteres in den Schatten.

Der Zusammenhalt der neuen Pumpkins geht jedoch vom beeindruckendem Spiel des Schlagzeugers Mike Byrne aus. Er ist das Zünglein an der Wage, das der Band bis 2009 gefehlt hat. Agierte Chamberlin zuletzt wie ein unmotiviertes Relikt aus alten Zeiten, wirkt der frische Byrne mit seiner erstaunlichen Präzision wie das zuvor noch fehlende Puzzleteil. Auf "Oceania: Live In NYC" sehen wir einer funktionierenden und gewachsenen Band zu.

Doch ausgerechnet Corgan steht dieser neuen Formation im Wege. Zeitweise spielt er sich lustlos und abwesend durch seine eigenen Songs ("Bullet With Butterfly Wings"). Mit verwirrten Rocker-Gesten, die ihm zudem ungelenk und unsicher geraten, wirkt er nicht selten seltsam abwesend und deplatziert.

Mit zunehmenden Alter bekommt es jeder von uns mit der ein oder anderen Problemzone zu tun. Wir werden grau, faltig, der Stoffwechsel ändert sich und wir gehen aus dem Leim. Gar kein Problem. Warum sollte es einem gestraucheltem Helden der 1990er nicht ebenso ergehen? Nur merken die meisten von uns, dass es nichts bringt, sich weiterhin in die Klamotten zu quetschen, die wir mit 22 getragen haben. Corgan scheint diese Erkenntnis komplett abzugehen und so steht er eng eingezwängt wie eine singende Weißwurst auf der Bühne, aus der an den unerfreulichsten Stellen bereits das Brät quillt.

Zu den zehn Dingen, die ich wirklich niemals in meinem Leben sehen wollte, gehörte auf Platz sieben bis kürzlich noch Corgans Popöchen. Das kümmert den Sänger freilich wenig und so lässt er munter und immer wieder sein Bauarbeiterdekolleté aufblitzen. Spätestens in diesen Momenten bin ich darüber glücklich, zur Bemusterung nicht die 3D Blu-ray erhalten zu haben.

So gehen während "Oceania: Live In NYC" das Erstaunen über Byrnes akzentuierten Schlagzeugspiel und die Verwunderung über manch eine schrullige und blutleere Corgan-Aktion Hand in Hand. Die Welt ist ein Vampir und was verloren gegangen ist kann nie wieder gerettet werden.

Trackliste

  1. 1. Quasar
  2. 2. Panopticon
  3. 3. The Celestials
  4. 4. Violet Rays
  5. 5. My Love Is Winter
  6. 6. One Diamond, One Heart
  7. 7. Pinwheels
  8. 8. Oceania
  9. 9. Pale Horse
  10. 10. The Chimera
  11. 11. Glissandra
  12. 12. Inkless
  13. 13. Wildflower
  14. 14. Space Oddity
  15. 15. X.Y.U
  16. 16. Disarm
  17. 17. Tonite Reprise
  18. 18. Tonight, Tonight
  19. 19. Bullet With Butterfly Wings
  20. 20. The Dream Machine
  21. 21. Hummer
  22. 22. Ava Adore
  23. 23. Cherub Rock
  24. 24. Zero

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2 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    "Corgan scheint diese Erkenntnis komplett abzugehen und so steht er eng eingezwängt wie eine singende Weißwurst auf der Bühne, aus der an den unerfreulichsten Stellen bereits das Brät quillt."

    Haha... :D Sehr gut!
    Trotzdem Danke für die Platten der 90er, auch wenn heute doch einiges so traurig ist.

  • Vor 11 Jahren

    Scheiß auf die Optik von Corgan - in dieser Form sind die Pumpkins 2.0 unschlagbar; alleine die Live Version von "Ave Adore" ist der Studioversion um Lichtjahre voraus!