laut.de-Kritik
"Christ, Hitler is on the telly!" (John Lennon).
Review von Michael SchuhDass man nichts von den Sparks hört, heißt nicht, dass das US-Duo untätig ist. Dass man nichts von den Sparks hört, könnte aber daran liegen, dass sich das Duo seit 1971 nie getrennt hat, um nun im Nostalgie versessenen Medienzeitalter vor der hysterischen Kulisse spät geborener Rock-Youngster seine Reunion zu inszenieren.
Andererseits: Rock-Youngster ist nicht unbedingt der Begriff, der einem in den Sinn kommt, wenn man das Londoner Publikum des Sparks-Auftritts am 30. September 2006 zu beschreiben versucht. Selbst wenn die Protagonisten ihr Publikum auf dem aktuellen Album gewohnt charmant mit "Hello Young Lovers" anreden.
Und hysterisch ist während der 118-minütigen Multimedia-Performance allerhöchstens der sporadisch Veitstänze aufführende Live-Gitarrist zu nennen, bei dem es sich übrigens um Josh Klinghoffer handelt. Sein Name fiel vor drei Jahren des öfteren, da der heiß begehrte US-Sessionmusiker an einigen Soloalben von John Frusciante beteiligt war. Zum Zeitpunkt der Aufnahme ist er übrigens Gnarls Barkley-Keyboarder, wie Sparks-Sänger Russell Mael an einer Stelle verrät.
Die Gebrüder Sparks also, Sänger Russell und Keyboarder Ron Mael, die zwei viel gepriesenen Paradiesvögel aus der Zeit des Glamrocks, die fast keiner kennt. Und was machen die live so? Im Falle des London-Gigs muss man sagen: Preaching to the converted. Das aber atemberaubend und außergewöhnlich.
Star einer Sparks-Show seit Jahr und Tag: Keyboarder und Songwriter Ron. Bereits vor dem zweiten Stück "Dick Around" postiert sich die bieder anmutende Gestalt mit regungsloser Miene und nach wie vor schmalem Oberlippenbart am Bühnenrand, um sich anschließend unter stürmischem Applaus seinem Arbeitsgerät zu nähern. Wie entfuhr es schon John Lennon, als er Anfang der 70er Rons Outfit im TV erblickte: "Christ, Hitler is on the telly!"
Die Antithese zur skurrilen, Schnauzbart und Brillantine tragenden Figur Ron ist Bruder Russell, einst engelsgelockt wie Brian May, heute kurzhaarig, supersmart und juveniler denn je.
Furios der Beginn: Vor zwei auf eine Leinwand projizierten Boxentürmen (namens Ron und Russell!) steht Ron Mael, dem Publikum seinen Rücken zugewandt, lässt ausufernd seinen rechten Arm kreisen und schlägt Powerchords. Das Publikum johlt. Die große Geste, das ironische Zitat, seit jeher integrales Stilmittel der Gruppe. Titel des Songs: "Rock Rock Rock".
Überhaupt: Wie wohl keine zweite Band dürfen die Sparks ihren Sinn für Humor in Wort, Bild und Ton so hemmungslos ausleben, wie sie wollen, mit dem kuriosen Resultat, von ihrem Publikum nur noch ernster genommen zu werden. Oder welcher Sänger im Rock-Business würde einen Song namens "Here Kitty" vor einer Leinwand mit singenden Comic-Katzen vortragen?
Versuchten Kritiker der ersten Sparks-Shows Anfang der 70er Jahre das Erlebte hilflos als Mischung aus Frank Zappa und den Monkees zu umschreiben, macht es die Band dem Kritiker 37 Jahre später nicht leichter. Avantgarde ist das sicher, Kunst in jeder denkbaren Definition wohl auch und da der Begriff Pop in unserer durchbritneysierten Welt den Untiefen der Bedeutungslosigkeit immer zügiger entgegen rast, möchte man vor der selbst erklärten Popband Sparks förmlich niederknien.
Und doch bleibt schleierhaft, wie es die operettenhaften Songs "This Town Ain't Big Enough For Both Of Us" und "Amateur Hour", die im zweiten Show-Teil zu Ehren kommen, jemals nach oben in die Charts schafften. Falsettstimmen sind zwar mittlerweile wieder en vogue, was die aktuellen Kompositionen aus dem Sparks-Album "Hello Young Lovers" (in voller Länge im ersten Teil vorgetragen) jedoch nicht automatisch zugänglicher machen.
Dem Spektakel tut dies keinen Abbruch: Mit der Routine von über tausend Auftritten im Rücken inszenieren sich hier zwei Chamäleone des Pop, die sowohl mit halluzinogenen Zungenbrecher-Eskapaden ("There's No Such Things As Aliens"), als auch US-Regierungskritischem Alien-Pop ("Baby Baby Can I Invade Your Country") und affirmativem Synthie-Pop durchkommen.
Sparksologen dürfen sich über die rare Live-Version "Tryouts For The Human Race" aus der '79er Giorgio Moroder-LP-Kooperation "No. 1 Song In Heaven" freuen oder über "Pineapple", einer der wenigen von Sänger Russell kompnierten Songs. Soundcheck-Impressionen, Fan-Interviews und ein zehnminütiges Japan-Special rundet den Auftritt ab. Zwischen Grundschul-Besuchen und Autogrammstunden stellt Russell am Flughafen schließlich die entscheidende Frage: "Mussten die Beatles ihre Koffer eigentlich selbst tragen?"
Wahrscheinlich nicht, dafür sind die Sparks heute noch quicklebendig. Im Mai 2008 kredenzen die Mael-Brüder ihren Londoner Fans ein besonderes Geschenk: Sie spielen sämtliche 20 Alben ihrer Karriere an 20 Abenden in voller Länge. Als Krönung anschließend ihr brandneues, noch unbetiteltes Album am 21. Abend. Ron, Russell: This Town Ain't Big Enough For Both Of You. Wir warten auf euch!
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