laut.de-Kritik
Sprachtherapie im UK-Hip Hop.
Review von David HilzendegenKein Mensch kennt das Migrantenkind aus dem Süden Londons, als ihr Big Dada einen Vertrag vorlegt. Zu begeistert sind die Verantwortlichen des Ninja Tune-Ablegers, als dass sie die damals Zwanzigjährige unverrichteter Dinge wieder aus dem Büro spazieren lassen würden. Fünf Jahre sind seither vergangen, eine halbe Ewigkeit im schnelllebigen Geschäft mit dem Hip Hop.
Mit ihrem Debüt rennt Speech Debelle nun endlich die ohnehin schon offenen Türen ein und gesellt sich zum erlauchten Kreis der anerkannten UK-Rapper. Und die lange Arbeit hat sich gelohnt: "Speech Therapy" kommt sehr komplett und durchdacht rüber. Produzent und Roots Manuva-Intimus Wayne "Lotek" Bennett darf sich selbst auf die Schulter klopfen.
Durchgehend jazzige, größtenteils mit akustischen Instrumenten analog aufgenommene Instrumentals bilden die Grundlage der Lyrics über Liebe, Hass, abwesende Väter oder Großmäuler in der Nachbarschaft. Es ist eine Art Tagebuch, das die Probleme ebenso wie die Schönheit des Lebens in eine musikalische Form presst.
Der Gegensatz hat auf der Platte Methode. "Go Then, Bye" ist eine Abrechnung mit einem untreuen Ex-Liebhaber - frustriert, wütend, emotional agiert Speech Debelle vor einem bittersüßen Instrumental, das eher schmachtenden Herzschmerz und Sehnsucht suggeriert. Generell mutet es zunächst merkwürdig an, die kindliche Stimme der Rapperin über tiefgreifende Alltagsprobleme sprechen zu hören. Doch die Therapie schlägt an und verzeichnet mit jeder Sitzung weitere Fortschritte.
Nachdenklich, mit einer zurückhaltenden Akustikgitarre, beginnt "Searching", bevor die fesselnden Klarinetten von "The Key" erklingen und direkt für den ersten Kopfnicker sorgen. Bedient werden die allesamt live eingespielten Instrumente von lokalen Musikern, die Lotek aus seiner Wahlheimat Melbourne kennt. Zurück auf der Insel wohnte Labelkollege und Vorbild Roots Manuva der "Speech Therapy" bei. Auffallend dass der Track "Wheels In Motion" trotz derlei Unterstützung vergleichsweise schwach ausfällt.
Dabei sind die Gemeinsamkeiten mit dem gebürtigen Jamaikaner in Sachen Poesie und Intelligenz so augenscheinlich. Nur das ultimative Hitpotenzial eines Roots Manuva geht Speech Debelle bislang noch ab. Aber was nicht ist kann schließlich noch werden. Qualität setzt sich letztlich ohnehin durch - gerade im schnelllebigen Hip Hop.
4 Kommentare
für mich das Rap-Album des Jahres ... bislang. Sehr sehr gut, etwas ausführlicher (http://www.exitmusic.ch/rezensionen/neuers…)
Und: 'The Key' oder 'Spinnin' haben imo mehr Hit-Potential als 95 % aus Roots Manuvas Schmiede...
Ich hab' auch 'ne Review geschrieben, werd' aber damit jetzt nicht nerven
Album ist der Hammer, bekommt aber leider viel zu wenig Aufmerksamkeit. Muss Venom zustimmen: Roots Manuva konnte ich bisher nichts abgewinnen und kann ihm auch so kein Hitpotenzial zuschreiben, aber allein bei "Searching" war ich sofort gefesselt.
ach ... als langjähriges Mitglied darf man doch, und solang man wirklich noch was hinzuzufügen hat, wieso nicht.
Roots Manuva find ich eigentlich schon toll, aber eben ... geht in wenigsten Fällen so schnell rein wie alles hier.
Geschmackssache. Meiner Ansicht nach funktioniert Speech Therapy als Gesamtkonstrukt, weniger in seinen Einzelteilen.
Aber die Größe des Album ist ja offenbar unumstritten.