laut.de-Kritik
Mehr Mut, weniger Magie.
Review von Emil DröllMit ihrem neuen Album "Portrait Of My Heart" schlägt Spellling ein neues Kapitel in ihrer noch jungen Karriere auf. Songs, die kryptisch-allegorische Lyrics und orchestrale Kompositionen wie die von "The Turning Wheel" (2021) mitbringen, sucht man hier vergebens. Für Leute, die Cabrals Diskografie verfolgt haben, dürfte das aber keine große Überraschung sein. Vom Minimalismus der ersten Platten bis hin zum orchestralen Overload – und jetzt ist was dran? Rock? Alternative? Indie? Irgendwas dazwischen wird es sein, eigentlich ist es ja auch egal.
"Portrait Of My Heart" sprüht vor Energie, zumindest manchmal. Und ganz so kryptisch kommen die Lyrics diesmal auch nicht daher: Liebe, Intimität, Angst, Entfremdung. Mag etwas ausgelutscht sein, abkaufen will man Cabral aber jedes Wort, sobald sie mal anfängt zu singen.
Das Besondere an diesem Album ist die Band – beziehungsweise deren bloße Existenz – die Cabrals makellose Vocals unterstützt. Gitarre, Bass, Schlagzeug, manchmal Piano begleiten die elf Songs. Im ersten davon, dem Titeltrack, hält sich die Band noch stark zurück. Er startet wie ein 0-8-15 Indie-Rock-Song, und anderes passiert hier auch nicht mehr – schon etwas langweilig für Spellling Verhältnisse. Der Liedtext lädt leider auch zum Abschweifen ein, erinnert er dann doch zu sehr an die typische Teenie-Pop-Zerrissenheit. Auch das Musikvideo hilft da nicht: Im Gothic-y2k-Style singt die Musikerin unter wildesten Kameraeinstellungen in die Linse. Insgesamt klingt alles einfach zu flach, da hilft leider auch das immer wieder kommende "I don't belong here" im Radiohead-Stil nicht.
Bei "Keep It Alive" wird dann noch etwas Streichermusik untergelegt, flach bleibt es weiterhin. Mehr raus holt zum Glück noch der verzerrte Bass, der den Track ein bisschen aufpeppt. In "Alibi" geht es glücklicherweise auch direkt peppig weiter, ein grungeiger Einstieg verliert sich zwischenzeitlich in den Trennungslied-Vocals, fängt sich dann aber wieder im allerersten Gitarrensolo, das überraschend gut hineinpasst.
"Waterfall" deckt eine etwas groovigere Ecke ab, "Destiny Arrives" wirkt mit dem Piano und Cabrals Gesang wie eine Mischung aus Disney- und Weihnachtssong – was aber auch nicht abschreckt und aufs Album-Highlight hinfiebern lässt: "Ammunition" baut sich sehr langsam und sehr soullastig auf, um dann in ein richtig gutes Gitarrenstück überzugehen. Mit dem Song in Kombination entstehen hier schon kleine "November Rain"-Eindrücke. Melancholisch bis zuletzt, die Vocals mit dem nötigen Epik-Touch, bekommt das Ganze fast schon Filmmusik-Charakter.
"Mount Analogue" hingegen kommt eher wie ein Lückenfüller daher, "Drain" traut sich dafür zum ersten Mal richtig was: Der Start laut und mit Grunge-Gitarre, nur um dann wieder leise und bescheiden zu werden. Das wirkt wie ein kurzer Aufwecker im ruhigen Album, und es scheint, als hätte es auch Cabral wachgerüttelt. Stimmliche Höhen und Tiefen, mal richtig lang gezogen, da ist wirklich alles abgedeckt. Der Song wird am Ende noch richtig wirr, erinnert an 2021-Spellling, und das macht Freude. Verschwimmende Sounds, Up-Speed, Cabral am Mikro halb hauchend, halb schreiend.
Mit "Satisfaction" traut sich die Musikerin auch mal kurz in die heavy-Gefilde, Lead- und Rhythmusgitarre deutlich abtrennbar, sich gegenseitig hoch-pushend bis dann am Ende aus rockig schon eher metallisch wird. So schnell es kam, so schnell ist es mit "Love Ray Eyes" auch schon wieder vorbei, jetzt wird es eher peppig und funky, mit echtem mit-wipp Charakter. "Sometimes" schließt das Album fast schon frech ab, mit eher leiserem Background, wodurch Cabrals Performance besser zur Geltung kommt. Akustische Gitarre, Schlagzeug und E-Gitarre bauschen sich langsam gegenseitig auf – nur der erwartete Drop fehlt. Die Instrumente flachen wieder ab, etwas unbefriedigend, aber irgendwie auch passend, für den letzten Song.
So unterschiedlich die einzelnen Songs auch sein mögen, beim Hören hat man im ganzen Album das Gefühl: Das kenne ich schon. Man kann es als Radiorock-Gedudel abstempeln, das wäre aber unfair, denn es ist mehr als das – dafür ist der Gesang zu gut und zu mitreißend. Das "Thema" des Albums macht leider nicht so viel Freude, wurde einem doch schon von zu vielen Künstlern das Herz über die Klassiker-Melancholie-Themen ausgeschüttet. Aber ironischer Weise passt das ganze Teenie-Selbstfindungs-Ding ja auch zum Album.
Wenn Cabral nun auch schon lang kein Teenie mehr ist, musikalisch scheint sie noch unentschlossen. Von den Socken hauen sollte "Portrait Of My Heart" trotzdem niemanden, der ihre vorherigen Stücke bereits kennt. Sollte sie es weiter probieren mit dem neuen Rockband-Ansatz, bleibt Luft nach oben, und das ist nicht so böse gemeint, wie es klingt – nach unten bleibt noch viel mehr. Cabral selbst erzählt in einem Instagram Post, welche Vorbildfunktion System Of A Down für sie haben. "Die Kombination von super gewaltsam und romantisch zugleich" fasziniert die Sängerin. Und diese Faszination hat sie in ihrem eigenen Album grandios umgesetzt, weiche Lyrics, starke Stimme, mal softer Indie, mal schwere Riffs – und das macht das Ding einfach unglaublich authentisch, ob es nun gefällt, oder nicht.
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