laut.de-Kritik
Nach diesem Urknall war Blues wieder angesagt.
Review von Alexander CordasMan muss schon mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein ausgestattet sein, wenn man 1972 mit gerade einmal 17 Lenzen die Highschool hinwirft, um sich fortan dem Blues zu widmen. So geschehen bei Stevie Ray Vaughan, der 1954 im texanischen Dallas zur Welt kommt. Dazu sollte man wissen, dass Blues 1972 seine besten Tage hinter sich hatte. Auch das große Revival ab Mitte der 60er via British Invasion war schon geraume Zeit um die Ecke. Im Mainstream spielte das Genre keine nennenswerte Rolle mehr. Das Ding war quasi tot. Aber es regte sich etwas im Untergrund. Und hier kommt Stevie Ray Vaughan ins Spiel.
Das, was man heute gemeinhin 'Bluesrock' nennt, lag Mitte der Siebziger röchelnd in der Ecke und wartete förmlich auf eine Wiederbelebung, Tumbleweed in den Straßen von Chicago, Detroit, Dallas und Austin. Die alten Granden wie Muddy Waters, John Lee Hooker und Co. waren zwar allesamt angesehen Veteranen, aber spielten im immer schnelllebigeren Musikzirkus quasi keine Rolle mehr. Nachwuchs war weit und breit nicht in Sicht.
In Formationen wie Paul Ray & The Cobras und den Nightcrawlers verdient Vaughan sich erste Sporen, ins Rampenlicht tritt er aber erst, nachdem er mit seiner eigenen Formation Triple Threat Revue auftritt. Als das Quartett auf ein Trio schrumpft, benennt er es in Double Trouble um und tritt höchstselbst ans Mikrofon. Wie famos Vaughans Gitarrenspiel schon zu dieser Zeit war, ist auf der posthum erschienenen Platte "In The Beginning - Stevie Vaughan and Double Trouble" zu hören, einem Radio-Mitschnitt eines Konzerts in Austin. Dieses Trio besaß damals noch gar keinen Plattenvertrag. Das hinderte die Macher des Montreux Jazz Festivals jedoch nicht daran, den Nachwuchs-Derwisch an den Saiten zu ihrer Sause einzuladen. Der erste seiner beiden Auftritte in Montreux änderte alles. Jeder, der auch nur ein wenig Ahnung hatte, was da von der Bühne über ihn hinweg rollte, wusste. Das ist der nächste heiße Scheiß.
Das sahen auch David Bowie und Jackson Browne so. Ersterer engagierte ihn für sein Album "Let's Dance", und Letzterer stellte ihm sein Tonstudio zur Verfügung, wo innerhalb geradezu lächerlicher drei Tage dieses Album entstand. Den ersten Tag verbrachten die Beteiligten damit, ihr Set Up aufzustellen. Binnen 48 Stunden nahmen sie also ein Album auf, das dem ollen Kumpel Blues einen ordentlichen Stromschlag versetzte. Die Aufnahmen spielte die Band mit Tommy Shannon am Bass und Chris Layton an den Drums live ein. Die Tracks wanderten ohne Overdubs auf das Album.
"Love Struck Baby" und "Pride And Joy" sind zwei Stücke aus der Feder von Vaughan selbst, die launig das Album eröffnen. Garniert mit zahlreichen Fingerübungen deuten sie an, was der Maestro zu leisten im Stande ist. Seine Ausschmückungen erscheinen aber nie als Selbstzweck, sondern betten sich harmonisch in die Songs ein, die mit einem satten Groove nach vorne schieben.
Mit dem Blues-Standard und Titeltrack ändert sich das, und Stevie tritt mit Verve ins Rampenlicht. Vaughan macht hier etwas, das er auch später in seiner Karriere diverse Male wiederholt. Er schnappt sich ein ohnehin schon gutes Original und pumpt es derart mit musikalischem Doping auf, dass man zwar immer die Vorlage erkennt, die er sich aber mit Gefühl und Einfühlungsvermögen zu eigen macht. Ganz episch in dieser Hinsicht sind seine Live-Interpretationen von "Voodoo Chile" und "Little Wing" von Jimi Hendrix. Nicht wenige Gitarristen bezeichnen diese Versionen als die besten Hendrix-Cover, die jemals gespielt wurden.
Der große Hendrix war auch eines seiner größten Vorbilder. Ein anderes Idol: Der Gitarrist und Sänger Lonnie Mack, der in einem ähnlichen stilistischen Spannungsfeld agierte. Spieltechnisch setzt der Gitarrist mit dem Instrumental "Testify" noch mal einen oben drauf. Die Isley Brothers-Nummer, die im Original mit ausgiebigem Vokal-Wahnsinn operiert, ist auch deshalb interessant, weil hier Hendrix auch die Gitarre bedient. Stevies Version ist so etwas wie das Ziehen des Huts vor dem Genie an den Saiten.
Wer danach noch nicht genug hat, wird von "Rude Mood" erlegt. In diesem Uptempo-Shuffle lässt Vaughan seine Finger derart heftig übers Griffbrett flitzen, dass man förmlich die Gitarre samt Saiten um Gnade winseln hört. Warum dieses Teufelsstück bei den Grammys 1984 nicht mit wehenden Fahnen den Sieg einfuhr, dürfte für ewig das Geheimnis der Entscheider bleiben. Das folgende reine Blues-Stück "Dirty Pool" nimmt im Werk von Vaughan zwar nicht den prominentesten Platz ein, aber hier zeigt er auf dem Album seine beste Gesangsleistung. Seine Stimme sollte im Laufe der Jahre noch erheblich an Intensität und Ausdruck gewinnen. Das hier ist so etwas wie der Startpunkt dafür. Das erneut shuffelige "I'm Cryin'" und die Ballade "Lenny" beschließen das Album.
Die Bedeutung, die "Texas Flood" für das Genre hatte, offenbarte sich gleich nach Veröffentlichung, oder besser, schon bei den Release-Partys. Dort versammelte sich alles, was im Rockzirkus Rang und Namen hatte. Das schlug sich auch auf die Verkaufszahlen nieder. Das Debüt stieg bis auf Platz 38 der US-Billboard Charts und verkaufte über zwei Millionen Einheiten. Mit einem Knall war Blues wieder angesagt.
Die Sogwirkung, die dieser Erfolg auf den darbenden Blues hatte, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Während Stevie sich auf Tour begab und reihenweise begeisterte Zuhörer mitriss, profitierten auch die alten Herren wie Hooker und Waters von der gestiegenen Aufmerksamkeit. Sie verkauften in den Achtzigern mehr Platten denn je, der Blues war gerettet. Mit dieser Meisterleistung reiht Vaughan sich unter die großen texanischen Blues-Musiker ein, die von Blind Lemon Jefferson und T-Bone Walker über Lightning Hopkins, Johnny Winter, Lightning Slim bis hin zu Albert Collins reicht.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Blues für Leute, die keinen Blues mögen.
SRV, der Mann, der den Sound des Halspickips der Strat auf Albumlänge zelebrierte. Als Blueser gibt es bessere, wie Rory. Aber für einen Cowboy nicht schlecht.
Ist natürlich wie immer Geschmackssache und es kommt darauf an, was du dir von einem "Blueser" erwartest aber ziemlich nüchtern betrachtet ist SRV als Gitarrist (was sowohl Rhythmus- als auch Solospiel angeht) noch mal auf einem anderen Level als Rory, der natürlich schon auf allerhöchstem Level ist und ich höre ihn wirklich gerne. Aber SRV ist als Gitarrist einfach unantastbar.
Gitarrist womöglich ja, aber es ging ja um den besseren Blueser.
Die Blues-Gatekeeper.
Ein verdienter Meilenstein für einen einzigartigen und leider viel zu jung verstorbenen Gitarristen, der in einem zu diesem Zeitpunkt eigentlich bereits auserzählten Genre neue Akzente setzen konnte. Mir ist zudem niemand bekannt, der je so dicke Saiten gespielt hat, ein Normalsterblicher könnte damit vermutlich keinen einziges Bend halten.
Absolute Legende und damals wahrscheinlich das beste Blues-Album seitdem die Pioniere des Genres wie Robert Johnson, B.B. King, Albert King und Muddy Waters ihre wegweisenden Werke veröffentlicht haben. Und viele bessere Blues-Alben aus den letzten 40 Jahren sind mir jetzt auch nicht wirklich bekannt.