laut.de-Kritik
Zurück auf der Tanzfläche, aber mit Taschentüchern.
Review von Mirco LeierEine lange Abstinenz vom Rampenlicht sorgt unweigerlich für hohe Erwartungen, die oft enttäuschen. "Racine Carée" reifte mit jedem Jahr, das Stromae in einer Malaria- und Depression-bedingten Auszeit verbrachte, mehr und mehr zu einem modernen Klassiker des europäischen Pops heran. Niemand verwob todtraurige Geschichten über verstorbene Väter, Krebsdiagnosen oder alltägliche Misogynie so leichtfüßig mit euphorischer und pompöser EDM-Instrumentierung wie der Belgier. "Alors On Danse" ("Also tanzen wir") - der Titel seiner 2011 omnipräsenten Durchbruch-Single, gab die Marschrichtung vor, das dazugehörige Album perfektionierte die Formel. Ist es nach beinahe zehn Jahren Zwangspause überhaupt möglich, nahtlos daran anzuknüpfen?
Paul van Haver alias Stromae beantwortete die Frage mit einer bewegenden Performance der Single "L'Enfer" inmitten eines TV-Interviews. Dort antwortet er auf die Frage, ob Musik ihm in den letzten Jahren bei der Bekämpfung seiner Einsamkeit geholfen habe, mit einem direkten Blick in die Kamera und dem Geständnis, auch Suizid in Erwägung gezogen zu haben. Die Sehnsucht zu tanzen bleibt aus, stattdessen steigen einem Tränen in die Augen. Die verspielten elektronischen Elemente in Form der verzerrten Synths in der Hook, sie sind immer noch präsent in Stromaes Musik, aber etwas Grundlegendes scheint sich verändert zu haben.
"Multitude" klingt nicht nach einem Comeback-Album. Es tönt vertraut, aber doch von Grund auf anders. Ruhig, überraschend unaufgeregt und entschleunigt, was ein wenig Anlaufzeit erfordert. Es fühlt sich an wie das Treffen mit einer Bekanntschaft, mit der man sich vor unzähligen Jahren einmal die Nächte um die Ohren schlug, die man allerdings seitdem nicht zu Gesicht bekam. Anfangs überwiegt die Skepsis, ob man überhaupt noch fähig ist, ein kohärentes Gespräch miteinander zu führen, und ehe man es sich versieht, geht draußen schon wieder die Sonne auf.
Die epischen Synth-Drops, die Arena-taugliche Orchestration, sie sind subtilen, weniger aggressiven Elementen gewichen. Das Songwriting zielt weniger auf Effekte als auf Emotion ab. So drängt sich das sanfte im Mix versteckte, fröhliche Blubbern in "Fils De Joie" oder eine leise weinende Erhu in "La Solassitude" vielleicht nicht mit Pauken und Trompeten in den Vordergrund, sie beweisen aber, dass Stromae nach wie vor der musikalische Visionär und Perfektionist ist, der er vor neun Jahren war. Müsste man den Klang dieses Albums mit einem Wort beschreiben, wäre dies makellos. Alles ist an seinem angestammten Platz, keine Note wirkt deplatziert oder überflüssig.
Das ist auch deshalb beachtlich, weil erstaunlich viele Instrumente ihren Weg ins Klangbild finden, an die das typische europäische Ohr nicht zwingend gewöhnt ist. Neben der erwähnten Erhu aus China hören wir auf "Déclaration" unter anderem die afrikanische Zurna, auf der Lead-Single "Santé" die südamerikanische Charango und auf "Fils De Joie" verleiht ein Cembalo dem Song fast schon theatralischen Nachdruck.
Stromae ist ein musikalischer Weltenbummler, der seine Einflüsse gleichermaßen aus französischer Pop-Musik und dem Eurodance der 90er, wie auch aus Son Cubano oder kongolesischem Rumba bezieht. Man denkt an die kapverdische Morna-Königin Cesaria Evora, an die er auf "Racine Carée" erinnerte, denn auch ihr Vermächtnis hallt deutlich nach. Der Belgier erschafft ein wundervolles Potpourri der Weltmusik, angereichert mit eurozentrischen Pop-Standards, die einen letzten Endes dann doch wieder auf die Tanzfläche entführen.
Im Kern stehen jedoch nach wie vor die Geschichten. Geschichten, die auf Missstände hinweisen, die Doppelmoral offenlegen, die ein Glas erheben, und die jenes Glas wutentbrannt wieder gegen die Wand donnern. In neun Jahren staute sich einiges an, was dem Belgier nun auf den Lippen brennt, und mit der etwas reduzierten Instrumentation gibt er diesem Geltungsdrang umso mehr Fläche.
"Invaincu" kommt als ein seltener Moment der Erhabenheit daher, mit dem er seinen siegreichen Kampf gegen die Malaria-Krankheit über frohlockende Drums in die Welt hinausschreit. "Tant qu'j'suis en vie, j'suis invaincu", "solange ich lebe, bin ich unbesiegt." Ein verdienter Moment des Triumphs. Anschließend findet Stromae erneut große Freude am Rollenspiel.
Egal ob er auf "Mon Amour" den fremdgehenden Macho mimt, der zu wissen glaubt, dass seine Freundin doch ohnehin auf Arschlöcher wie ihn stehe, oder auf "Riez" einen ambitionierten Überflieger, der seine hochgesteckten Ziele mit jedem Lachen der anderen weiter und weiter herunterschraubt, bis er froh ist, überhaupt noch ein Dach über dem Kopf zu haben: Der Belgier seziert alltägliche gesellschaftliche Missstände mit einem tief schneidendem Zynismus und Witz, der keine Sprachbarriere kennt.
Einen absoluten Höhepunkt diesbezüglich stellt "Fils De Joie" dar. Eine Lobeshymne an eine Prostituierte, gesungen aus der Kehle ihres Sohnes, der "Sohn einer Heldin", wie der Titel erklärt. "Ich werde immer stolz von ihr erzählen", deklariert er. Stromae konterkariert dies mit den Perspektiven dreier Männer im Leben der Mutter. Ein Freier, der der Meinung ist, mit Geld alles kaufen zu können, ein Zuhälter, der sich als ihr Fels in der Brandung sieht, und ein Polizist, der ihr rät, sie solle sich einen richtigen Job suchen. Selbst ohne der Sprache mächtig zu sein, kann man alleine dem Tonfall entnehmen, was die verschiedenen Charaktere über die Frau denken. Es ist eine simple Gegenüberstellung, die effektiver kaum sein könnte. Stromae solidarisiert sich nicht nur mit großer Empathie, er trifft damit auch mitten ins Herz.
Gleiches gilt auch für die Momente der Introspektion, in denen die Musikalität des Albums und der lyrische Inhalt vollends zu etwas Magischem verschmelzen. "L'Enfer" befördert einen mit seinem explodierenden Chorus direkt in die titelgebende Hölle, die im Kopf des Belgiers tobt. Das Klagelied, das der Chor anstimmt, verzerren die atonalen Synths ins Dämonische. Stromae versucht nicht länger mit tanzbarer, elektronischer Instrumentierung vom deprimierenden Inhalt abzulenken, vielmehr akzentuiert er diesen nur noch weiter, indem er den emotionalen Ausbruch im Refrain auch musikalisch spiegelt.
Dem Double aus "Mauvaise Journée" und "Bonne Journée" gelingt dies in zweierlei Tonalität ebenfalls sehr gut. Beide Songs illustrieren die Redewendung um das halb volle oder halb leere Glas und bedienen sich vergleichbar expressiver Klanggebilde. Gerade der Closer, der den Chor zurückholt und eine euphorische Aufbruchstimmung anstimmt, kommt stellenweise sogar dem früheren Material des Belgiers erstaunlich nahe. Doch selbst in diesem Moment der Glückseligkeit kann Stromae einfach nicht anders, als mit dem letzten Verse die Bedeutung des gesamten Songs erneut ins Zynische zu verzerren. "Comme un idiot, fais les pas de la danse de la joie", ("Wie ein Idiot, tanz die Schritte des Freudentanzes.") singt er abschließend. Die Freude ist ein Schein, die Realität bleibt bitter.
8 Kommentare mit 21 Antworten
Keine Ahnung, obs die musikalische Banalität, der monoton langsame Vortrag in einer häßlichen Sprache, oder etwas anderes ist. Irgendwas an Stromae ließ schon immer meine Eingeweide sich zusammenziehen und die Fußnägel hochrollen. Selten so ne mysteriöse Abneigung gegen Musik gehabt.
Ach Ragi...
Johnny Cash?
„Häßliche Sprache“ - weiter muss man gar nicht lesen. Wer „meine Eingeweide sich zusammenziehen“ schreibt und „die Fußnägel hochrollen“, sollte sich mit Abfälligkeiten gegenüber einer Sprache, die er Zweifel weder versteht noch spricht, zurückhalten.
Irgendwann wird Ragi auch noch mal herausfinden, dass es keinen Zwang gibt, zu allem, zu dem man eine Meinung hat, auch einen Kommentar abzulassen. Da bin ich mir ganz sicher.
ja bruder aber ganze forum wird dann nicht sein gleiche wie vorher
Dann geht das Forum hier vor die Hundi. Wuff Wuff!
Lasst den Ragi, der kriegt wahrscheinlich den ganzen Tag in der Five Guys Filiale Wolfsburg mit seiner roten Schürze um den Hals dermaßen Sprüche vor den Latz geknallt, dass wir froh sein müssen, als Stamm-laut.de-User die einzig Betroffenen zu sein. Ist für uns nicht schön, aber Scheiße fließt immer von oben nach unten. Sowohl bei Five Guys, als auch bei laut.de
Die ersten beiden Wörter in deinem Kommentar sagen schon alles über dich aus: "Keine Ahnung..."
Ich glaube, ich bin statistikmäßig sogar mit vergleichsweise wenigen Kommentaren pro Woche am Start. Stromae bleibt trotzdem Sondermüll. Und aufs Französisch kams mir jetzt nicht so an. Klar, es klingt für mich halt immer, als würde ein sturzbesoffener Nuschler alle paar Worte vergessen, was er sagen wollte. Aber wenn der Typ halt seit Jahren in derselben Tonlage langsam vor sich hin spricht, fällts erst besonders auf.
Ach Ragi...
Was'n Lappen, in der Tat. Hat der doch glatt guten Musikgeschmack...!
Keine Ahnung, obs die inhaltliche Banalität, der unnötig polemisierende Ausdruck in einer hässlichen Sprache oder etwas anderes ist. Irgendwas an diesem Kommentar lässt meine Eingeweide sich zusammenziehen und die Fußnägel aufrollen. Selten so ne mysteriöse Abneigung gegen einen Kommentar gehabt.
Im Ernst: Als jemand, der sich Stromaes Musik privat eher nicht gibt, muss ich doch fragen, was hier eigentlich schiefgelaufen ist. Hässliche Sprache? Bitte was? Musikalische Banalität? Und dann fällt noch der Begriff Sondermüll. Aber was solls. Gibt Reaktionen en masse und ich spiel da auch noch mit, weil dumm. Es sei gegönnt.
Hach, wie schön. Dieser Faden ist mein Lied. Einfach wundervoll.
... kurz noch: Ragis OP hätte im Übrigen von Stromae selbst verfasst werden können. Jetzt bekommst du auch endlich mal eins von mir: ❤️
... auf französisch dann, selbstredend.
Krass. Nach 7 Jahren und 2 komplett verkackten Reviews habt ihr endlich mal jemanden an Stromae gesetzt, der Französisch kann und die Texte versteht. Ganz viel Liebe dafür, Album ist ebenso groß wie schon die ersten ♥
Gelungenes Comeback-Album. Richtig gut.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Nickname scheiße, Kommentar indiskutabel. Wie sehr muss man dich in der Vergangenheit nicht lieb gehabt haben?
Ach, du lutscht also gerne Schwänze in deiner Freizeit. Nett dich zu bewerben, ich halte das in Evidenz.
Klar mag ich das, aber warum ist das relevant und warum interessiert dich das ? Bist du interessiert?
Fang mal mit den Eiern an und ich entscheide dann spontan, ob du an die Zuckerstange darfst.
nice, endlich mal ein zweiter Schwuli hier. Auf was stehst du sonst so? Ich eigentlich auf alles, außer was so ins Klo gehört.
Nein, heute keine Belohnung für dich. Du quasselst zu viel und bläst zu wenig.
Grossartiges Album, verdiente Rezi!
Hach, wie schön. L'Enfer ist mein Lied. Einfach wundervoll.