laut.de-Kritik
Die Indie-Klassik-Supergroup greift nach den Sternen.
Review von Yan VogelDer Blick zu den Sternen galt den Menschen immer schon als Richtschnur, ob als Wegweiser, Zeitmessung oder Sinnsuche. Auch nachdem klar wurde, dass unser Sonnensystem nur eines von endlos vielen ist, hat unsere Heimat nichts von ihrer Faszination verloren.
Auch Sufjan Stevens Avantgardpop beinhaltet den Griff nach den Sternen. Auch wenn sein mit reichlich Pathos angekündigter Plan, sämtliche Staaten der USA zu vertonen, mehr Werbegag als ernsthafter Versuch ist, verwundert es kaum, dass er der Einladung von Nico Muhly folgte, um zunächst eine Live-Aufführung von "Planetarium" auf die Beine zu stellen. Stevens und Muhly, ein renommierter Neoklassik-Komponist, der u.a. schon für The National und Grizzly Bear arrangierte, prägen nur zur Hälfte dieses musikalische Sammelsurium. Das Ensemble um die beiden Meister der U- und E-Musik komplettieren Stevens Haus- und Hof-Schlagwerker James McAllister sowie The National-Klampfer und Klassik-Intimus Bryce Dessner.
Die Indie-Klassik-Supergroup greift ein Thema auf, das in der Klassik des 20. Jahrhunderts in der Planetensuite von Gustav Holst Verwendung fand und stilprägend wirkte. Wobei der Blick des Quartetts aus der Sternenwarte nicht nur die großen Riesen offenbart, sondern auch weitere markante und historisch bedeutsame Himmelsphänomene zum Vorschein bringt. Planetarium auf Konserve fügt der Live-Konzeption zudem weitere Facetten hinzu.
Das Resultat klingt auf den ersten Höreindruck wie die Summe der vier einzelnen Charaktere. Ein stetiger Wechsel aus cinematischen Szenen, poppigen, chorusartigen Einwürfen und typischer Sci-Fi-Athmo bestehend aus Drones, Beats und dissonierend-kontrapunktierter Elektro-Klassik-Melange dominieren das Klanggeschehen und evozieren die unendlichen Weiten des Weltalls sowie die Kontemplation, die ein Blick in die Sterne offenbart.
Aus diesem unbedingt in Gänze zu genießenden Koloss schälen sich einzelne Momente heraus, die in je unterschiedlicher Manier Gänsehaut verursachen. Das folkig-verträumte "Mercury" zieht behutsam die Tränen aus dem Knopfloch. Hier geht auch der Einsatz von Autotune in Ordnung, obwohl die generelle Verwendung über die gesamte Dauer der Platte sowie etliche Vocal-Effekte Puristen sauer aufstoßen dürfte.
Der 15-minütige Indie-Elektro-Klassik-Gigant "Earth" strotzt nur so vor Bombast, wobei sich die Frage stellt, ob eine Viertelstunde für unsere Heimat und mickrige vier Minuten für die Sonne die kosmischen Herrschaftsverhältnisse nicht auf den Kopf stellen. "Sun" mit seinen verhuschten Piano-Clustern bewegt sich zunächst an den Grenzen der Harmonik, um dann in die Harmonie abzudriften, die die einzigartige, lebenspendende Konstellation der Erde zur Sonne beschreibt.
Ein weiteres Highlight stellt die Orchesterballade "Pluto" dar, die einem Rufus Wainwright oder Foxygen auf deren neuester Roaring-Twenties-Hommage gut zu Gesicht gestanden hätte. Generell wähnt sich der Hörer des Öfteren in einem Sci-Fi-Film, wobei in eklektischer Art die klaustrophobisch-elektronische Schwerelosigkeit von Gravity, der bombastisch inszenierte Dynamik-Brocken Interstellar sowie typischer Horror à la Alien Hand in Hand gehen. Textlich streift Stevens mythologische Weisheiten in dualistischer Chaos-Kosmos-Manier und paart diese mit indigenen Erzählungen sowie zeitgenössischen und intimen Ausschweifungen.
Auch wenn viele Parts ihre Entsprechungen im Schaffen der vier Ausnahmemusiker finden sowie zahlreiche Zitate, was insbesondere das Sci-Fi- und das Klassik-Genre betrifft, zu erraten sind, lohnt sich die 75-minütige Odyssee durch unser Sonnensystem. Gerade der Wechsel aus den ekstatischen Parts und den vielen in sich ruhenden, hypnotischen Momenten bietet Kurzweil genug.
2 Kommentare mit 6 Antworten
Und ich las Shakin`Stevens beim Interpreten und wand mich wieder ab...verdammt!
verstehe ich das richtig:
zappelphillipp aus anfang der achtziger > multiinstrumentaler folkmusiker mit mindestens drei ausnahmenalben?
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Das war ein Witz, muss ich jetzt jede Zotte mit einem Smili kennzeichnen?
bei dir wäre das in der tat hilfreich, ja.
Mensch Para, du darfst ruhig aus deinem Keller raus kommen, um ein bisschen zu lachen.
Der alte Meurer will wohl Nebelgeist Konkurrenz machen..
Sufjan Stevens ist nicht alleiniger Interpret