laut.de-Kritik
Verzweiflung, Epik, Melancholie, Zorn und Hass.
Review von Manuel BergerWer "When A Shadow Is Forced Into The Light" komplett genießen möchte, sollte sich vorher mit dem als EP separat veröffentlichten "Lumina Aurea" beschäftigen – aus mehreren Gründen. Einerseits behandelt der Longtrack ebenfalls den Tod von Juha Raivios Lebensgefährtin Aleah Starbridge. Außerdem referenziert er Elemente des Stücks später im Album und es ist schlicht die ungewöhnlichste Komposition in der Geschichte von Swallow The Sun. Auch deshalb fällt eine Bewertung schwer. Mit dem eigentlichen Album dürften sich alle Fans sofort wohl fühlen – die Finnen bleiben Meister ihres melodisch-progressiven Death Doom-Stils.
Zusammen mit unter anderem Amorphis-Sänger Tomi Joutsen widmete Raivio der Verstorbenen bereits ein ganzes Bandprojekt: Hallatar. Dort zeigte er aber bei weitem nicht all seine kompositorischen Fähigkeiten, sondern konzentrierte sich auf kargen, finsteren Doom. Auch "When A Shadow Is Forced Into The Light" fühlt sich nicht wie ein vollends auf den Punkt gebrachtes, abgeschlossenes Gebilde an, sondern eher wie eine Collage verschiedener Ausdrücke. Das macht die Songs gerade zu Beginn schwer greifbar. Warum zum Beispiel in "Clouds On Your Side" ausgerechnet französisches Spoken Word erklingt, bleibt Raivios Geheimnis, unabhängig davon fransen die zusätzlichen Worte den auch großzügig mit Streichern garnierten Track etwas aus.
Vocals stehen gleichwohl im Fokus, ein besseres Showcase für Mikko Kotamäki hätten Swallow The Sun kaum schreiben können. Von sanften über hymnische Cleans, Black Metal-Kreischen bis hin zu donnernden Death-Growls präsentiert der Sänger einen wahnsinnigen Facettenreichtum. Oft erklingen Passagen mehrstimmig – wobei nicht nur unterschiedliche Tonlagen, sondern auch Gesangsstile übereinander liegen ("When A Shadow Is Forced Into The Light", "Upon The Water"). Andernorts nimmt sich die Band viel Zeit, einzelne Hooks möglichst pur zu entfalten. So materialisiert sich etwa in "Never Left" ein zugleich hoffnungs- wie sehnsuchtsvolles Mantra.
Kotamäkis fantastische Performance ermöglicht freilich auch den Instrumenten ungemeine Abwechslung. Wie selbstverständlich löst sich aus der getragenen Ballade "Firelights" in der zweiten Hälfte ein rasender Black Metal-Dämon. Dramatische Streicher verwandeln "Stone Wings" gen Ende in ein sperriges Wechselbad der Stimmungen, wo Verzweiflung, Epik, Melancholie, Zorn und Hass in Klangkrieg treten. Im anschließenden "Clouds On Your Side" zerfurchen brutale Death Metal-Stiche einen eigentlich fest in Singer/Songwriter-Gefilden verankerten Track.
Völlig auf aggressive Elemente verzichten Swallow The Sun in "The Crimson Crown". Das Stück beginnt mit den Wal-Rufen, mit denen die "Lumina Aurea"-EP endet, erhebt sich sozusagen aus dem zugehörigen schwarzen Ozean in den sternenreichen Nachthimmel. Instrumental veranschaulichen das im Mittelteil schwerelose Alcest-Gitarren, textlich wimmelt es nur so vor "stars". Einmal bauen die Finnen sogar die komplette 'Sternenbrücke' ein, um Aleah zu gedenken: "The forest sleeps so quiet / Like the flowers in your arms / As the white swans of the night / Fly by the bridge of stars".
Wer denkt, "Lumina Aurea" wäre ähnlich opulent gestrickt, irrt gewaltig. Dass der Longtrack separat steht, ergibt absolut Sinn, denn Swallow The Sun entwarfen ihn offenbar als genaues Gegenstück zu den überbordenden Arrangements von "When A Shadow Is Forced Into The Light". Wardrunas Einar Selvik eröffnet den Track mit klagenden Hörnern zu Meeresrauschen. Sobald sie verklungen sind, erklingt ein kurzer Kirchenchoral. Dann beschränken sich die Musiker auf ein lateinisches Rezitativ und konturlose Noise-Wände. Das Zeitgefühl verliert man mangels Takt schon nach wenigen Minuten, Raivio sperrt sich und seine Hörer in eine lichtundurchlässige Kammer aus Schmerz und Dunkelheit. Der Choral taucht punktuell wieder auf, dazu kommt das beunruhigende Krächzen einer Kreatur, der Suicidal Black Metal-Bands mit Kusshand ihren Sängerposten überlassen würden. "Lumina Aurea" wirkt eher wie eine sonische Selbstkasteiung Raivios.
Man kann nur hoffen, dass dem Gitarrist die Arbeit an den Werken letztlich wirklich bei der Trauerbewältigung hilft. Seinen Fans jedenfalls schenkt er zwei neue Diskografie-Perlen. Mit unterschiedlichen musikalischen Ansätzen umkreisen "Lumina Aurea" und "When A Shadow Is Forced Into The Light" dasselbe Thema und ergänzen sich dabei hervorragend.
1 Kommentar
Schöne Review und ein klasse Album!
In Kombination mit der Lumina Aurea für mich ne 5/5.