laut.de-Kritik

So niveauvoll kann House-Musik sein.

Review von

Immer wieder sonderbar, wie erfolgreiche DJs Single an Single aneinanderreihen, ohne wirklich ein richtiges Album zu produzieren. Zwischen Club- und Festivalauftritten bleibt halt wenig Zeit, noch eine Vision für einen Longplayer zu entwickeln. Apropos: In dieses Fettnäpfchen sind auch die drei Herren der Swedish House Mafia getappt mit "Until Now" und "Until Then". Axwell, Sebastian Ingrosso und Steve Angello brauchen eigentlich keine weitere Einführung, stehen ihre House-Klassiker doch für sich: "One (Your Name)" mit Pharrell Williams, "Don't You Worry Child" oder "Save The World" sind aus den Clubs nicht mehr wegzudenken. Der Erfolg führte aber auch dazu, dass der gemeinsame Traum 2012 ausgeträumt und eine Trennung unumgänglich war.

Sechs Jahre später rauften sie sich wieder zusammen und hegten den Wunsch, ein Studioalbum aufzunehmen, was kurioserweise ihr Debütalbum darstellen sollte. Die Skandinavier klotzen lieber, statt zu kleckern und servieren ganze 60 Minuten verteilt auf 17 Songs. Kann das gut gehen? Wird das auf Dauer nicht langweilig? Sind die überhaupt noch "gut"? Zitieren die sich am Ende nicht bloß selbst? Angello hat darauf eine klare Antwort: "Es gibt immer Neuland zu betreten. Die größte Herausforderung war jedoch, etwas zu tun, was niemand von uns erwartet hat. Wir mussten im Studio Sounds finden, die wir noch nie zuvor gehört hatten und von denen wir begeistert waren. Es ist super inspirierend für mich, in einer Band zu sein, in der wir uns tatsächlich selbst herausfordern wollen. Die Rückkehr sollte nie nur eine Tournee sein, weil wir so begeistert von der Idee waren, etwas Neues zu machen."

Er sollte Recht behalten, denn alleine schon das unterkühlte Techno-Gewummer "It Gets Better" als Comeback-Single zu wählen, zeugt von Mut. Mit heulenden Sirenen und Cowbell haucht man der Elektro-Szene frischen Wind ein, nebenbei findet man darin die Samples von Evelyn Kings "One More Time" und Nancy Sinatras "Lightning Girl". Im Albumkontext von "Paradise Again" geht es nahtlos über in den formidablen Tech House "Redlight", dass sich "Roxanne" von The Police aneignet mit zusätzlichen Vocals von Sting. So und nicht anders quasi-samplet man einen alten Klassiker, bei dem die typischen House-Drops funktionieren und der Beat nach vorne peitscht!

"Paradise Again" strotzt generell vor Abwechslung und überrascht an etlichen Stellen. Zu Beginn begrüßen uns mit "Time" und "Heaven Takes You Home" zwei Songs mit UK-Two Step-Einschlag. Im anschließenden Instrumental "Jacob's Note" lauscht man den Klaviertönen des schwedischen Komponisten Jacob Mühlrad, der seine Interpretation des darauffolgenden Stückes spielt und somit als Intro dient. "Moth To A Flame" markiert den ersten Hit des Albums, bei dem sich The Weeknds Stimme hervorragend in den feinen und unprätentiösen Ambient-House einbettet. In eine ähnliche Kerbe schlägt der entspannte Elektropop "Lifetime", bei dem Ty Dolla $ign und 070 Shake vorzüglich miteinander harmonieren.

Die schwedische Supergroup ist mit allen elektronischen Wassern gewaschen und bespielt nicht nur die Massen mit gekonntem EDM, sondern probiert sich auch in dunklen Untergrundclubs aus. Der abgrundtief böse Banger "Mafia" betritt bedrohlich die Bühne wie ein Film-Bösewicht, flankiert von einer iterierenden Bassline, wummernden Beats und verblüffend modernen Trap-Versatzstücken - als wäre Gesaffelstein an dem Track beteiligt gewesen.

Dieser Vibe überträgt sich im andockenden Hip Hop-Biest "Frankenstein": Verzerrte Synths, düstere Atmosphäre, treibende Beats und dazu ein angriffslustiger und besessener A$ap Rocky. Eine Abrissbirne par excellence, bei der Pretty Flacko gleich selbst mitmacht: "In the mosh pit, I'm finna fuck up shit / Bloody nose, busted lip / Boy, I love this shit." Der dunkle Techno-Rave "19:30" beschreitet verwandte Pfade, erinnert jedoch an Boys Noize und The Prodigy.

Des Weiteren loten die drei Schweden ihre Grenzen im Titeltrack aus, eine hübsche Fingerübung mit Klavier und Bläsern, in dessen Verlauf man noch auf Synthie-Fanfaren, einen stampfenden Mittelteil und überlagerte Melodien trifft. Sogar versteckten Filter-/French House der späten 90er vollführen sie in "Don't Go Mad", das wie eine cleane Version von Daft Punk zu "Homework"-Zeiten klingt. "Can U Feel It" bedient den Progressive House und trägt am deutlichsten die Handschrift Axwells.

Ruhig und erneut musikalisch divers lassen SHM ihr Debüt ausklingen. "Another Minute" kommt sehr melancholisch daher mit anschmiegsamen Synthies und bleibt in der Folge auch Gott sei Dank bei sich, anstatt in ehrenlose EDM-Beats zu rutschen. Der Rausschmeißer "For You" beherbergt einen hymnenhaften, nostalgischen Aufstieg, nur um beim Peak dann in pluckernde Electronica der Marke Paul Kalkbrenner zu fallen. Ein kleiner Crowdpleaser als Dank an die Fans - warum nicht?

"Paradise Again" manifestiert eindrucksvoll, wie facettenreich und niveauvoll House-Musik sein kann. All die sich DJ schimpfenden Bengel wie Kygo, Felix Jaehn oder Robin Schulz sollten hier mal genau hinhören und sich eine Scheibe abschneiden. Dann gäbe es weniger EDM-Schlonz und gleichzeitig mehr Qualität.

Trackliste

  1. 1. Time (feat. Mapei)
  2. 2. Heaven Takes You Home (with Connie Constance)
  3. 3. Jacob's Note (feat. Jacob Mühlrad)
  4. 4. Moth To A Flame (feat. The Weeknd)
  5. 5. Mafia
  6. 6. Frankenstein (feat. A$ap Rocky)
  7. 7. Don't Go Mad (feat. Seinabo Sey)
  8. 8. Paradise Again
  9. 9. Lifetime (feat. Ty Dolla $ign and 070 Shake)
  10. 10. Calling On
  11. 11. Home
  12. 12. It Gets Better
  13. 13. Redlight (with Sting)
  14. 14. Can U Feel It
  15. 15. 19:30
  16. 16. Another Minute
  17. 17. For You

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