laut.de-Kritik
Sternzeichen Schlagring: Ironie-Punk-Bretter aus Bremen.
Review von Rinko HeidrichNeue Band oder doch eine tausendfach kopierte "Schlachtrufe BRD"-Kassette aus den 90ern? Team Scheisse klingen auch auf dem zweiten Album "042124192799" wie irgendwo im Jugendzentrum auf Walkman aufgenommen und mehrfach herumgereicht. So richtig Freude kommt aber erst auf, wenn man die Bremer live sieht und zusammen eskaliert. Aber bitte mit Regeln. Die lauten: Trotz Pogo auch auf schwächere Menschen achten, auf nackten Oberkörper und Übergriffigkeiten verzichten. Das gefällt nicht jedem in der immer noch Jungs-dominierten Punk-Szene, ebenso wenig wie die Nähe zu Jan Böhmermann.
Bei dem ZDF-Satiriker, der ebenfalls aus dem Bremer Stadtteil Vegesack stammt, durften sie zum Abschluss einer Dieter-Nuhr-Verarsche ihr Lied "FA" performen: "Und ich wünschte / Ich müsste nicht andauernd gegen etwas sein / Aber wie soll das denn gehen / Bei all den gottverfluchten Nazischweinen?" Sie geben damit gleich selbst die Antwort auf das Gemaule, ob man denn nun den xten Song über Faschos singen muss. Die werden allerdings auch kein Album der Bremer Punks kaufen, womit es dann doch ein bisschen überflüssig erscheint. Die Schnittmenge zum Publikum des "ZDF Magazin Royale"-Moderators dürfte eindeutig höher sein. Insofern zahlt sich die schamlose Anbiederung mit "Jan Böhmermann weint" schon mal aus: "Jan Böhmermann will wissen / Ob ich grad wieder wein / Und dann weint er leise mit mir mit". Wahrscheinlich schlüpft demnächst auch der Tasten-Aufklärer El Hotzo dazu und ergänzt den Chor der Selbstgerechten mit Lyrics über die doofen Doofen.
Zum Glück gibt es nach dieser überflüssigen Nummer auch wieder tolle Dada-Songs, die Team Scheisse letztes Jahr zu einem der unwahrscheinlichsten Newcomer der letzten Jahre machten. Kleine, schnell runtergeklöppelte Ironie-Punk-Bretter, die noch das lahmste Festival-Publikum innerhalb von Sekunden in Brand setzen. Konkurrenz sucht man allerdings vergebens. Die grenzgenialen und eigentlich lustigeren Die Shitlers existieren leider nicht mehr, daher kommen Team Scheisse genau richtig, um diese Lücke zu füllen.
Zeilen wie "Ich bin ein fucking Schmetterling / Flatter, flatter, flatter, flatter / Ich bin fantastisch, wunderschön und bunt / Und du kannst mich hart am Arsch lecken" machen grundsätzlich schlecht-gute Laune. Gleichzeitig ein Arschtritt für mehr Selbstliebe und ein trotziger Fickfinger. Solche Widersprüche gibt es auch in "Sternzeichen Schlagring". Ätzender Spott über im Grunde sehr unausgeglichene Menschen, deren toxisches Yogamatten-Dauergrinsen am Schluss letztendlich doch nur zu noch heftigeren Gewaltausbrüchen führt: "Ich knabber Räucherstäbchen / Auf der Yogamatte / Richtig New-Age-Faible / Bis mich irgendwas triggert.". Bedient zwar irgendwie schon die bekannten Yogi-Tea-Klischee-Vorstellungen, aber die Watschen für solche unaufrichtigen Blender tun dennoch gut.
Wenn nicht mal parfümierte Selbstliebe bleibt, dann eben das "Fahrrad". So schön sang seit den eher lahmen Prinzen kaum mehr einer über das eigene, sogar noch attraktivere Bike. Solche absurden Humor-Momente tragen eindeutig die besseren Songs auf "042124192799" im Gegensatz zur flachen Polizeiverarsche in "Safeword Einzelfall". Bullen und Nazis doof, ja verstanden, im Kern richtig, aber auch nicht sonderlich einfallsreich neu erzählt. Etwas lustiger dagegen das Wir Sind Helden-Zitat in "Vorratskammer": "Ich hab dir mal ein Mixtape gemacht / Und jeder Vollidiot weiß / Die Lieder sind jetzt für'n Arsch". Ja, da kann man schon schmunzeln oder tausend Tränen tief weinen. Doch auch solche Songs haben K.I.Z schon mal gemeiner und vor allem witziger erzählt.
Team Scheisse wollen zwar krawallig sein, aber keiner soll sich dabei weh tun. So etwas nennt man nett und jede:r weiß, wo genau das musikalisch endet. Die Goldenen Zitronen wanderten schon Ende der 80er nach "Porsche, Genscher, HSV" schnell rüber in spannendere und experimentelle Gefilde, ohne größere Rücksicht auf die Fans der ersten Stunde, aber weiterhin mit viel Rückgrat. Team Scheisse erzählen bekannte Witze in kompakter Twitter-Länge.
Noch ist das egal, weil man sich bei den wirklich großartigen Live-Shows der sympathischen Bremer eh sprichwörtlich die Scheisse heraus tanzt. Auf Albumlänge fehlt dieser sehr wichtige Faktor, weil doch vieles im durchschnittlichen Bereich bleibt. Auch kommt das zweite Album mit weniger Drive daher und wirkt sehr schnell nachgeschoben. Demnächst also gerne mehr als eine aufgeblähte EP, sonst liket am Schluss wirklich nur noch Jan Böhmermann.
7 Kommentare mit 21 Antworten
El Fotzo hat ja jetzt auch ein Buch geschrieben. Ist bestimmt unglaublich witzig...
In erster Linie unglaublich wichtig, da es den Neoliberalismus kritisiert.
El Fotzo...
Finde ich jetzt nicht so wichtig und mutig, dass er seinen Fans ein Buch verkauft in dem steht, dass Menschen vom Typ Lindner arschig sind. Und abgesehen davon, dass seine Sprüche einfach langweilig und billig sind, ist mein grösstes Problem dass er krampfhaft versucht witzig zu sein und es nicht schafft.
der humor-think-tank koopsta hat gesprochen
Wann haben die Leute eigentlich aufgehört, "ich finde ja, dass.." vor der Kundgabe ihrer Meinung zu schreiben und angefangen nur noch selbstgefällige "das ist so"-aussagen zu machen.
vorgängeralben waren definitiv treffsicherer in sachen witz und songwriting aber das geht schon noch iO hier
"(...) ob man denn nun den xten Song über Faschos singen muss."
Ja, muss man. Gerne auch abseits des Punk, eigentlich überall. Greift ja dank dem blauen parlamentarischen Arm der Faschos, der dieses Gedankengut seit Jahren salonfähig macht, immer mehr um sich.
Früher hat sich der Dorfnazi mit seinen Springerin nicht aus dem Haus getraut - da müssen wir wieder hin.
Kannst ja gerne den ganzen Tag nichts anderes hören, es aber von anderen zu verlangen, nervt und führt zu nix.
Jawohl, Bernd. Angesichts des durch den (der Einfachheit halber nenne ich ihn noch:) Neoliberalismus weltweit steigenden Faschismus finde ich es erschreckend dümmlich, bei Antifaschismus mit den Augen zu rollen. In diese Ecke geht Rinko hier leider auch. Außerdem bin ich neugierig, welcher der zahlreichen und sehr verschiedenen Beiträge von Böhmermann ihm noch quer im Darm sitzt. Bin ja auch kein Riesenfan, aber so butthurt über ihn zu schreiben ist auch etwas peinlich.
Kenne bis auf das wirklich gute "FA" die Platte noch nicht, mangels Interesse an Deutschpunk. Wollte mir die Freude am Track nicht durch typische Punk-Standards auf Albenlänge verderben lassen. Scheint eine richtige Intuition gewesen zu sein.
"Und ich wünschte / Ich müsste nicht andauernd gegen etwas sein / Aber wie soll das denn gehen / Bei all den gottverfluchten Nazischweinen?" Sie geben damit gleich selbst die Antwort auf das Gemaule..."
War doch klar, dass es sein muss!? Ist Rinko schon so vorbelastet oder wieso gehen hier gleich mehrfach die Alarmglocken an?
Leude, das ist halt Punkrock. Thematisch klar eingegrenzt (Bier yo, Nazis und Bullen nope), drei Akkorde, schrammelschrammelfertig. Da find ich sowas wie Schmetterling einfach mal herrlich erfrischend und auch sonst haben die Jungs mmn nen guten Humor. Macht einfach Spaß, ohne völlig hohl zu sein. Wie man in der Rezi so dagegen haten kann, dass die auch beizeiten ihr publikum zu ein bisschen awareness aufrufen, ist mir unbegreiflich.
Gutes Marketing, ansonsten unhörbar.
Sich dem Mainstream UND der Regierung anbiedern, und das ganze dann "Punkrock" schimpfen. Wo und wann sind wir eigentlich falsch abgebogen?
Rebellion ist wenn du den Elitären in deiner Bubble zeigst, wie sehr du dich dem Pop anbiedern kannst. Rebellion ist wenn man den Kurs des medialen Mainstreams fährt, weil alles andere ja eh nur Nazi-Kartoffeln sind.
Muss man wissen.
Also in meinen Augen sind Die Shitlers lustig, aber Team Scheisse nochmal auf wesentlich höherem Niveau. Leider auch bei weitem nicht das einzige, was sich mir an dieser Kritik nicht erschließt, aber gut, wat solls.