laut.de-Kritik

Chinos Soloprojekt hüllt die Fäuste in Samt.

Review von

Chino Moreno besaß schon immer einen Hang zu abseitiger Romantik. Die Texte des Deftones-Oeuvres beinhalten allerlei Krudes aus dem Gruselkabinett: Um Mordgedanken, Machtfantasien, völlige Selbstaufgabe geht es da. Mit dem kreativen Befreiungsschlag Team Sleep haut Moreno gemeinsam mit Jugendfreund Todd Wilkinson (Gitarre), Zach Hill (Drums), Rick Verrett (Bass) und DJ Crook in eine ähnliche Kerbe.

Statt Schlachthaus dient jedoch eine weitläufige Opernbühne als Ort der Handlung. Adressat der Aufführung ist eine unnahbare Schönheit, zum Greifen nah und unendlich weit weg. Dekadenz, Dramatik und Devotion dienen als Eckpfeiler der heiß ersehnten Team Sleep-Traumarie.

Der Einstieg "Ataraxia" verweist noch eher unspektakulär auf das düstere "Lucky You", dem elektronischen Ausbrecher vom letzten Album der Hauptband. The Cure-Fan Chino schwebt hier über einem beatlastigen Klanggerüst aus dem Drumcomputer. Der Taktgeber ordnet sich während der gesamten Spielzeit den Songs nur selten unter. Oft verwirrt das chaotische Stolpern,verhindert manchmal sogar, dass sich die eigentlich tollen Harmonien vollends entfalten können. Die Single "Ever (Foreign Flag)" geht noch mehr als der Opener als Deftones-Fortsetzung in Synthie durch, nämlich von "Moana": Moreno führt seine Angebetete von der Bühne und entschwindet mit ihr in die Parallelwelt des Traums. Bodenhaftung? Gibt's woanders.

Die für Chinos Hauptband typischen Ausbrüche sind erwartungsgemäß spärlich gesät und verteilen sich in kleinen Portionen über die CD. Einen ersten Vorgeschmack bietet "Blvd. Knights". Zuckend vor Sexappeal, weil Drum'n'Bass-Rhythmik und elegisch gedehnte Vocals gegeneinander ankämpfen. Dann das aggressive Ganzlicht: "Live From The Stage" fängt als Godspeed You Black Emperor!-Zitat an, drogenvernebelter Narkosegsang und diverse Geräusche (Grillen, Züge) laden zum Abschalten ein. In der Songmitte werfen die Gemeinschaftsschläfer aber den Samthandschuh in die Ecke und prügeln ein so was von brutales Brett vor den Schädel, dass es vor Wachheit knackt. Postrockende Apokalypse, beste Grüße auch von Tool.

Aber der Mann aus Sacramento gibt in der Band durchaus nicht den Alleinherrscher. Gastsängerin Mary Timony schlägt in "Tomb Of Liegia" sirenenartig säuselnd das Opernpublikum in den Bann. Das Stück gerät zum hypnotisch-morbiden Film Noir-Soundtrack mit Pianoloops und Overdubs. Ganz großes Kino auch das an Anticons Alias gemahnende Trip Hop-Duell mit Moreno ("King Diamond"): Er beinahe Shouter, sie ganz lasziv und kühl.

Gast Nummer zwei Rob Crow, durch Pinback bekannt, übernimmt hingegen die Rolle des sanft vor sich hin blubbernden Pop-Vulkans. Auch für Crow gilt: Dank ihm gewinnt Chinos auf Dauer begrenzte Stimmlage neuen Reiz. Siehe die großartige Aufschaukelei "Our Ride To The Rectory" oder den friedlichen Abschluss "11/11". Einziger Totalausfall auf der Platte ist das Instrumental "Staring At The Queen". Team Sleep eifern hier bemüht dem Acid-House eines Aphex Twin oder Squarepusher hinterher.

Die Traumberichte bleiben in der Wortwahl stets im Ungefähren. Oder wie es an einer Stelle heißt: "If it's in the focus / then ist no fun for guys like me". Letztlich wird das Album getragen von einem Gefühl intensiver Sehnsucht, das ich mal so zu beschreiben versuche: Man verliebt sich im Schlaf, wacht auf und würde alles geben, sofort wieder in diese Welt zu abzutauchen. Wer solche Momente kennt, findet sich in den 53 Minuten Team Sleep sicher wieder. Das Schöne am Diesseits: Dank Play-Taste ist die Rückkehr ins Traumland jederzeit möglich …

Trackliste

  1. 1. Ataraxia
  2. 2. Ever (Foreign Flag)
  3. 3. Your Skull Is Red
  4. 4. Princeton Review
  5. 5. Blvd. Nights
  6. 6. Delorian
  7. 7. Our Ride To The Rectory
  8. 8. Tomb Of Liegia
  9. 9. Elizabeth
  10. 10. Staring At The Queen
  11. 11. Ever Since WWI
  12. 12. King Diamond
  13. 13. Live From The Stage
  14. 14. Paris Arm
  15. 15. 11/11

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