laut.de-Kritik
Die Kalifornier konservieren das Erbe von Springsteen.
Review von Erich Renz"We grow old all at once, and it comes like a punch / In the gut, in the back, in the face" ("All At Once"). Jemand, der sich mit so dringlichem Ehrgeiz ankündigt und dazu die passende Soundgröße zeigt, der gewinnt das tagesaktuelle Muskelspiel der alternativen Musikparade. The Airborne Toxic Event heißt dieses kalifornische Konglomerat und ist mit seinem neuen Longplayer "All At Once" längst keine Randnotiz mehr für die Festival-Saison im kommenden Jahr.
Von Medienvertretern bereits beim Debüt gefeiert, von iTunes zum Alternative 'Song Of The Year' gekürt ("Sometime Around Midnight"), macht sich der Getriebene Mikel Jollet mit seinen Mannen und einer Frau zum Triumphmarsch auf. Manchmal groß, manchmal laut, manchmal schnell. Alles aber eben nur manchmal. Vielmehr verhält es sich wie ein Kommen und Gehen, wie Ebbe und Flut, diese Wucht und diese Sanftmut, das Leben und Sterben im Großformat zu besingen. "Half Of Something Else" und "All At Once" können diesen Druck erzeugen, ehe sie sich im nächsten Moment wieder besänftigen. Sie sind das Psychogramm Jollets, dessen Vergangenheit ja eher endzeitliche Muster als Jubelarien hervorrief.
Die springsteensche Steilvorlage, Hooklines und Rauhbeinigkeit für sich zu nutzen, das haben The Airborne Toxic Event kapiert. Nach The Gaslight Anthem haben sie sich zu den nächsten Boss-Jüngern gemausert, um Springsteens Erbe nachhaltig zu konservieren. Das Feilen am sakralen Statement, immer nah dran zu sein an der Hymne, am Gemeinschaftschor, um beim geneigten Publikum einige Berührungspunkte zu treffen und Berührungsängste zu vermeiden - damit können sie bisweilen gut umgehen.
"Numb", eine fuzzige Gitarren-Hommage an die Yeah Yeah Yeahs, klimmt mit preschendem Ruckzuck-Gesang Tonleiter-beseelt rauf und runter. Die Heimwerker-Nummer zum Nachspielen und Nachklatschen ist "Changing". Wer noch nichts von chinesischer Pentatonik gehört hat, dem sei dieses Stück wärmstens ans Herz gelegt.
Einen Ausflug ans Filmset zu "Once" und Glen Hansards erstrangiger "Say It To Me Now"-Darstellung auf Dublins Straßen bietet "The Kids Are Ready To Die" an. Mikel Jollet verhält sich ähnlich nachdrücklich und schwergewichtig, bevor er in unzähmbarer Wutlage über dem Auszug "Father, I'm sorry / I just don't know what to do with this anger / This behavior is correctable / I know this wasn't part of your plan" stimmlich zusammenbricht. Klar, dass hierbei der pflichtmäßige Klavierbass, bekannt seit Cashs American Recordings, nicht fehlen darf, um zu einem monumentalen Rundumschlag auszuholen.
Diesen fremden Gedanken, der sich eingenistet hat, wird man nach "All At Once" nicht los: The Airborne Toxic Event huldigen dem Status anderer Künstler so sehr, dass sie oft vergessen, sich mit Eigenständigkeit den Boden unter den Füßen zu bewahren. Als talentiertes und vor allem aufeinander geeichtes Gespann halten sie die Zügel selbst in der Hand, um sich von den vermeintlichen Heroen loszueisen. So viel Glaube darf sein.
1 Kommentar
Seit 2011 hatte ich schon die Deluxe Version des Albums auf itunes. Ich bin mit dem Album nie wirklich warm geworden, weil eben der Knaller wie Sometime Around Midnight gefehlt hat. Als ich kürzlich zum zweiten Mal auf einem TATE Konzert war, ist mir erst aufgefallen, was für eine Perle All At Once wirklich ist. Von den Texten her um einiges der Debütscheibe überlegen. Eher Liebe auf den zweiten Blick, aber definitiv toll. Auch ganz fantastisch sind die auf der Deluxe Version enthaltenen alternativen Fassungen aller Songs.