laut.de-Kritik
Keine Angst, Folk-Gemeinde: So viel Metal ist es gar nicht.
Review von Matthias von ViereckJa, es ist ein mächtiges, üppiges Werk, fast möchte man von einem Opus sprechen. Allein die unglaubliche Vielfalt an Instrumenten: Von der Pedal Steel-Gitarre, der Mandoline und dem Akkordeon über die Hammond-Orgel, Geigen und Celli bis hin zu solch seltsamen Apparaten wie dem Marxophone (einer Art Zither). Nicht zu vergessen die E-Gitarren!
Schließlich möchten die Dezemberisten aus Portland auf ihrem Nachfolger zum großartigen "The Crane Wife" laut Pressetext eine Brücke bauen "zwischen Folk und Metal". Mein lieber Scholli, denkt man da zunächst, wenn das mal nicht in die Hose geht. Tatsächlich mag man seinen Ohren kaum trauen, als nach einem dräuenden, langsamen Anfang heftige Gitarren ausgepackt werden.
Im Verlauf der Platte aber wird klar, dass der Gegensatz Mandoline vs. E-Gitarre hier genauso seinen Zweck erfüllt wie die gesanglichen Zwiegespräche der Protagonisten des Konzeptalbums. Dialektik wird groß geschrieben auf diesem Werk, das seine Mitte in der Synthese aus Folk und Rock findet. So wie man sich anfänglich mit dem floralen Coverdesign schwer tut, braucht es auch seine Zeit, um Arrangements und Instrumentierung schätzen zu lernen.
Und keine Angst, liebe Folk-Gemeinde: Mastermind Colin Meloy und seine Mitstreiter haben es nicht übertrieben mit den Metal-Anleihen. Alles ist sehr ambitioniert und mit Sicherheit nicht jedermanns Sache. Lang ist der epische Atem, für ungeduldige Geister ist "The Hazards Of Love" kaum geeignet. Wer auf knackige Singles und leicht verdauliche Singalongs steht, der lasse bitte hiervon die Finger!
Alle anderen erwartet die tragische und, ja, auch etwas süßliche Geschichte von Margaret und ihrem Lover William (herrlich, diese Namen). Zum Personal gehören des Weiteren: eine "forest queen" (Gastsängerin Shara Worden), ein Formwandler ("shape-shifting animal"), sowie ein Wüstling ("rake"), der es auf die arme Margaret abgesehen hat. Sehr schön: die gezeichneten Porträts der Protagonisten im Booklet, die einem das Einfühlen in die Story erleichtern (by the way: Es wird höchste Zeit, dass das schlecht beleumundete Prinzip "Konzeptalbum" rehabilitiert wird!).
Die Decemberists entführen uns in eine Welt, die mal an tiefstes Mittelalter, mal an Fantasy oder gar Horror erinnert und einige Gänsehaut-Momente bereithält. Etwa die Stelle, an der Margaret und William – verkörpert von Becky Stark von Lavender Diamond und Colin Meloy – in "Isn't It a Lovely Night" erstmals duettieren: "And here we died our little deaths". Dazu eine jammernde Pedal-Steel, was will man mehr? Anrührend auch das Ende der Geschichte: "And when the waves came crashing down, he closed his eyes and ..." (Alles sei hier nicht verraten).
Zu Ermüdungserscheinungen kann allerdings führen, dass Motive wiederholt auftauchen. Aber wir haben es eben nicht mit einer Sammlung selbstständiger Stücke, sondern einem kohärenten, narrativen Werk zu tun, das als Ganzes rezipiert sein will. Und was wäre etwa ein Thomas Mann ohne Leitmotive? Von Tracks im eigentlichen Sinne kann hier keine Rede sein.
Die Übergänge sind fließend, das Titelstück ist in nicht weniger als vier Parts zerstückelt ("The Hazards of Love 1-4"). Dass man sich nach Genuss der einstündigen Rockoper seltsam verbraucht fühlt, kommt der Empfindung nahe, die sich einstellt, hat man einen dicken Roman endlich bezwungen. Wann hat man Vergleichbares zuletzt über eine Platte sagen können?
16 Kommentare
Imho sind 4 Punkte einer zu wenig.
Und das mit dem "verbraucht fühlen" kann ich mal so gar nicht nachvollziehen. Klar sind die ersten drei vier Mal Durchhören noch ein wenig anstrengend weil der gute Colin die Worte teilweise ziemlich "herausnöhlt" und das in Verbindung mit dem teilweise doch recht archaischen Wortschatz zu Textverständnisproblemen führen kann.
Hat man diese Hürde allerdings einmal genommen, dann taucht man ganz schnell in die Welt von Margaret und William ein, vorallem da das Ganze imho keineswegs langatmig ausfällt.
"The Wanting Comes in Waves" wirkt z.B. trotz seiner gut 6 Minuten keinesfalls sperrig, sondern verleiht dem Ganzen erst die nötige Dynamik und ähnlich verhält es sich mit den restlichen Stücken (einzig und allein das Intro hätte ein wenig kürzer gehalten werden können).
vor n paar tagen gekauft und meeega glücklich.
sehr schön.
@al terego (« vor n paar tagen gekauft und meeega glücklich.
sehr schön. »):
@Kukuruz (« Selbstverständlich hab' ich die anlässlich von "Picaresque" Live gesehen. Mit "Two Gallants" als Vorband. (Das ist wieder 'ne andere Geschichte). »):
Und die wäre?
The Decemberists mit Two Gallants als Vorband?
Besser geht es ja kaum!
@matze73 (« @Kukuruz (« Selbstverständlich hab' ich die anlässlich von "Picaresque" Live gesehen. Mit "Two Gallants" als Vorband. (Das ist wieder 'ne andere Geschichte). »):
Und die wäre? »):
--> http://forum.laut.de/viewtopic.php?t=35755
Zitat («
The Decemberists mit Two Gallants als Vorband?
Besser geht es ja kaum! »):
Ich muss wirklich noch mal betonen, dass ich von Picaresque völlig hingerissen war (und bin). Live haben sie schon einige Faxen veranstaltet. Es war ein kleines Clubkonzert, ganz intim. Etwas danach habe ich Laura Veirs konzertant erlebt, die ja auch in dem ganzen D.-Umfeld mitmischt. Keine Fundamental-Kritik, ich mag diese Songwriterin total, aber die und all das könnte gemessen an deren Fähigkeiten für meinen Geschmack einfach etwas, wie soll ich sagen, neutönerischer, aufmüpfiger daherkommen.
@Kukuruz (« Decemberists klangen für mich schon immer sehr sehr nach Jethro Tull der Phase 72 bis 78 (von "Thick as a Brick" und "A Passion Play" bis "Heavy Horses"). »):
im rs-forum ist ein ähnlicher vergleich zu lesen. ich kann den überhaupt nicht nachvollziehen und sehe keine parallelen.
auch nach etlichen durchläufen ein wunderbares album.
mich deucht jedoch, dass sie für den mittelteil von "the queen's rebuke/the crossing" ein bisschen "strange kind of woman" von deep purple ausgeschlachtet haben