laut.de-Kritik
Die erste bekannte Aufnahme mit der Band um Jim Morrison.
Review von Giuliano BenassiBeim Öffnen der Box macht sich erst mal Ernüchterung breit. Denn vor allem enthält sie: Luft, verpackt in dünne Plastikfolie, um den eigentlichen Inhalt zu schützen. Da wären: Eine handgeschriebene Setlist auf zerknülltem Papier, drei zusammen geheftete Blätter im US-Format mit Schreibmaschinenschrift und Teeflecken, der Flyer eines Kurzfilmabends an der UCLA 1966, der verfleckte Bierdeckel eines Lokals namens London Fog mit der verwischten Telefonnummer Pamela Coursons (Jim Morrisons Freundin), eine Postkarte, die "The Doors ("Band from Venice) with Rhonda Lane Go Go Girl" ankündigt, und ein Umschlag mit fünf Fotos im US-Format, von der Band und der einzelnen Mitglieder. Selbst die Verpackung gibt noch etwas her, nämlich eine Telefonnummer mit dem Verweis "Sunset Boulevard".
Die Verantwortlichen haben sich also viel Mühe gegeben, um den Eindruck eines sensationellen Archiv-Fundes zu erwecken. Denn Musik gibt es natürlich auch, in Form einer 10"-Vinyl-Scheibe und einer CD. Der Inhalt ist derselbe: 33 Minuten, die einen der ersten Auftritte der Doors dokumentieren. In einer gewissen Hinsicht ein Stilbruch, denn die Originalaufnahme befand sich selbstverständlich auf einem Magnetband. Wenigstens ist die CD-Hülle der Original-Pappschachtel nachempfunden.
Die Kunde, dass die Firma, die das Erbe der Doors verwaltet, diese Aufzeichnung gekauft habe, kursierte schon seit einigen Jahren in Fan-Foren. Auszüge davon waren auch schon gezeigt worden, bei der Kurzfilmnacht auf dem Flyer, mit dem Titel "Call It Collage '66". Doch das Material war lange verschollen, bis Regisseurin Nettie Peña ihren Keller aufräumte.
Von ihr stammen auch die Blätter mit Schreibmaschinenschrift. "Jim asked me to record him and 'the boys' tonight at the London Fog", so der erste Satz. Wann "tonight" war, lässt sich nicht mehr genau ermitteln, da sie kein Datum aufgeschrieben hat. Auch wenn sie später vom "big Debut" schreibt, handelt es sich nicht um den ersten Auftritt der Doors, die bereits Ende 1965 bei einer Filmaufführung an der UCLA (University Of California, Los Angeles) zusammen gespielt hatten. Ab Februar standen sie fast jeden Abend in einer Kaschemme namens London Fog am Sunset Boulevard auf einer winzigen Bühne, begleitet von einer molligen Stripperin. Meistens vor wenigen, desinteressierten Besuchern zweifelhaften Rufes, an Abend der Aufzeichnung im Mai aber vor einigen Kommilitonen. Vermutlich handelt es sich um einen ihrer letzten Aufritte, bevor sie wegen einer Schlägerei, die sie nicht angezettelt hatten, rausflogen.
So sieht es auch Robbie Krieger. "Am Anfang hat Jim kaum etwas gesagt und auch nicht gut gesungen. Wir haben ihn ständig nötigen müssen, sich dem Publikum zuzuwenden. Hier klingt er geladen, fast schon glücklich, erinnert sich der Gitarrist im Rolling Stone.
In der Tat: Nachdem sich die Band mit Muddy Waters' "Rock Me" warmgespielt hat, tritt sie in Joe Williams' Klassiker "Baby, Please Don't Go" aufs Gas. Es ist schon alles dabei, was die Doors in ihrer besten Zeit, also in den folgenden fünf Jahren, ausmacht: Ray Manzareks hypnotische Orgel samt Basslinie, Kriegers spanisch anmutende Gitarre, John Densmores treibendes Schlagzeug. Und über allen der laszive, betrunkene, highe Morrison, der an guten Tagen wie diesen nach wie vor den prototypischen, schamanischen Rock-Sänger darstellt.
Zwischen den Stücken gab es längere Pausen, die Morrison nutzte, um sich mit einzelnen Gästen zu unterhalten. Auch das weitere Material stellt sich aus bluesigen Nummern zusammen, Wilson Picketts "Don't Fight It", Willie Dixons "I'm Your Hoochie Coochie Man" und Little Richards "Lucille". Dazwischen spielen sich zwei eigene Stücke. "Strange Days", der Titeltrack ihres zweiten Albums (1967) und "You Make Me Real", das erst 1970 auf "Morrison Hotel" erscheint. Und sie spielen ihren vielleicht besten Track "The End", eine "epische" Version, "die 15 Minuten lang und Wahnsinn war", wie Peña aufschrieb. Leider hat sie das zweite Band, auf dem sie das Stück aufgenommen hatte, nicht mehr gefunden.
Dennoch die tolle Momentaufnahme einer Band, die schon wenige Tage später einen wichtigen Sprung schaffte. Bei ihrem letzten Konzert im London Fog war Ronnie Haran anwesend, die die Bands für das nahe gelegene Whisky a Go-Go buchte. "Es war ein furchtbarer Ort. Ich setzte mich nicht hin, weil ich dachte, ich würde Filzläuse kriegen", erinnert sie sich im Booklet. Was etwas heißen muss, schließlich war auch das Whisky kein 5-Sterne-Etablissement. Von den Doors war sie jedoch so begeistert, dass sie sie als feste Vorband für ihr Lokal verpflichtete.
Ein neues Kapitel, in dem sie unter anderem vom 30. Mai bis zum 18. Juni vor Them spielten. Die danach auseinander brachen. Ein Ende mit Knall, denn am letzten Abend standen zwei Morrisons, Jim und Van, gemeinsam auf der Bühne und gaben "Gloria" zum Besten.
Im August hatten die Doors dann genug Stücke für drei Alben, erinnert sich Krieger. In dem Lokal kam auch der Kontakt zum Label Elektra zustande, das sie unter Vertrag nahm. Ende August fanden die Aufnahmen zum Debüt statt, das im Januar 1967 erschien und Platz zwei der US-Charts erreichte. Die Single "Light My Fire" kletterte sogar auf Platz eins.
Womit auch erklärt wäre, warum "London Fog" im Dezember 2016 erscheint, zum 50. Jubiläum. Um die Abmischung kümmerte sich Bruce Botnick, der die Doors als Tontechniker bis zu Morrisons Drogentod 1971 begleitete. Gemessen daran, dass die Aufnahme nicht professionell war, ist der Sound erstaunlich gut, wenn auch nicht überragend. Aber das wäre bei einem solchen Zeitdokument schon fast abtörnend. Als netter Gimmick ist unter der Telefonnummer auf der Pappschachtel Jim Morrison zu hören, der sich an jene Auftritte erinnert.
Die auf 18.000 Exemplare limitierte Box ist der Auftakt für eine neue Runde Veröffentlichungen im Doors-Universum. So versprechen die noch lebenden Mitglieder Densmore und Krieger für 2017 weitere Schmankerl, "darunter ein paar Filme inklusive einem, den ihr noch nicht gesehen habt", so Densmore.
Weiterhin bleibt zu hoffen, dass Peña das fehlende Band mit "The End" doch noch findet. "Ich würde es natürlich für ein zweites London Fog-Paket zur Verfügung stellen", verspricht sie. Auch wenn eine weitere CD samt Vinyl reichen würde - Platz genug ist in der Box ja noch.
3 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Gutes Review zu LONDON FOG hier auf DER VINYLIST: http://bit.ly/2hRWHMV
Ja ganz tolles Review beim Vinylist, die Verpackung wird bis zum letzten Fussel beschrieben....