laut.de-Kritik

Starker Espresso mit süßem Apfelkuchen.

Review von

Adressieren wir direkt den Elefanten im Raum: Das Cover. Wieso posiert Jonathan Pierce - wie Gott ihn schuf - in einer Art Büro? Die Antwort liegt in der Verarbeitung diverser Kindheitstraumata.

Während dieses Prozesses überkam ihn der Drang, in sein Elternhaus zurückzukehren, den Ort, an dem ihm so viel seelische Marter eingraviert wurde. Er zog sich aus und konfrontierte sich mit seiner Vergangenheit: "Ich habe viel darüber nachgedacht, und ich habe immer noch Fragen, aber ich glaube, ich habe auch einige Antworten. Ich glaube zum Beispiel, dass es eine echte Kraft war, meinen nackten Körper in diese Räume zu stellen, in denen ich mich durch andere so oft machtlos gefühlt hatte. Ich habe den Raum für mich zurückerobert". Dennoch spürt er Unsicherheit, Zerstörerisches und Zweifel. "Jonny" erzählt von dieser höchst persönlichen Dichotomie und spinnt die innere Heilung von "Abysmal Thoughts" weiter.

Pierce, weiterhin als Ein-Mann-Projekt The Drums unterwegs, legt seine Pein und deren Verarbeitung schonungslos offen und analysiert die Gründe seines Verhaltens. Es beginnt mit seiner Mutter, die ihr Trauma, verursacht durch Komplikationen während der Geburt, auf ihn projiziert und sich distanziert. "I Want It All" bezeugt diese fehlende Liebe mit beschwingt melancholischem Indie-Pop, wie man es von Jonny kennt. Das stampfende und leicht punkige "Isolette" porträtiert das fehlende Selbstvertrauen und die damit verbundene soziale Phobie.

Generell fordert er an etlichen Stellen Verständnis ein, weil er sich noch immer im Prozess der Selbstheilung befindet und auf dem Weg der Besserung. Adjektive wie tender, gentle, sensitive oder sweet ziehen sich wie ein roter Faden durch die Lyrics. Sie zeigen so bezeichnend wie nie, dass es sich bei Jonathan um einen sensiblen und missverstandenen Mann handelt, der sich die Welt entsprechend erschließen muss. Die entrückten Balladen "Be Gentle" und "Green Grass" thematisieren dies auf äußerst sympathische Weise. Im aufhellenden "Teach My Body" möchte er zugänglicher werden und offener für körperliche Nähe.

So etwas geschieht jedoch nicht von heute auf morgen. "I'm Still Scared" erzählt vom Zaudern und überrascht mit frenetisch elektronischem Beat, während Pierce tiefenentspannt darüber singt. Ebenso leidet das Zwischenmenschliche, was Bindungsängste hervorruft. Das zuckersüße "Better" berichtet davon: "My darling, my lover / How I love you, how I missed you / But my solitude loves me better than you" - und gleitet in den nächsten Track hinüber.

Es folgen weitere vier Songs mit perfekten Übergängen, was zeigt, dass er "Jonny" als konsistentes Projekt ansieht und ihm das Tracklisting am Herzen liegt. Das sakrale "Harms" klagt seine Mutter an, im interessanten Interlude "Little Jonny" flankieren feine Synth-Melodien eine wohl gemeinte Ansage an sein früheres Ich. "Plastic Envelope" lässt hingegen viel Interpretationsspielraum: Geht es nur um ein Beziehungsende oder um die Angst, sich selbst und seiner Vergangenheit zu stellen? "Protect Him Always" spricht abermals zum jungen Jonny, auf dass er ihn um jeden Preis vor weiteren Gräueltaten beschützen werde.

"Ich begann damit, sanft mit mir selbst umzugehen. Die Dinge begannen insgesamt weicher zu werden. Es gab eine Zärtlichkeit um mich herum. Als ich mich an die Arbeit für das neue Album machte, brachte ich diese Zärtlichkeit mit. Ich ließ den Prozess wirklich langsam sein, wenn er langsam sein wollte". Ein Mantra, das "Jonny" zugrunde liegt und für pittoreske Momente sorgt.

Der glitzernde Surf-Pop von "Obvious" unterstreicht die Erkenntnis, dass er erfahrene Liebe als solche anerkennt. "Pool God" nimmt den Kampf gegen Ängste mit mäandernden Synthie-Loops auf und erinnert stellenweise an den Indie-Electronica eines SOHN.

Jonathan schreckt auch nicht vor den ganzen dunklen Themen wie Suizid zurück, wenn er darüber mit Rico Nasty im coolen Duett "Dying" parliert. Der Schlussakt "I Used To Want To Die" mit hallendem A-capella-Chor versichert, dass er sich auf dem Weg der Genesung befindet.

"Jonny" dokumentiert eindrucksvoll, dass vermeintliche Klischees wie 'das bisher persönlichste Album' und eben jenes nach sich selbst zu benennen, nicht Klischees bleiben müssen, sondern wirklich ehrlich und aufrichtig sein können. Hinzu kommt sein Talent, solch schwere Kost wie einen starken Espresso neben einen musikalisch fluffigen Apfelkuchen zu stellen. Es passt wunderbar zusammen. Prost Kaffee!

Trackliste

  1. 1. I Want It All
  2. 2. Isolette
  3. 3. I'm Still Scared
  4. 4. Better
  5. 5. Harms
  6. 6. Little Jonny
  7. 7. Plastic Envelope
  8. 8. Protect Him Always
  9. 9. Be Gentle
  10. 10. Dying
  11. 11. Green Grass
  12. 12. Obvious
  13. 13. The Flowers
  14. 14. Teach My Body
  15. 15. Pool God
  16. 16. I Used To Want To Die

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