laut.de-Kritik
Die Innovatoren des europäischen Punk.
Review von Mathias MöllerThe Ex aus Holland gehören zu den wahrscheinlich weitestgehend vergessenen Innovatoren des europäischen Punk. Wobei Punk im Falle dieser Band als weit gefasster Begriff verstanden werden muss.
Denn das, was Terrie, Andy, Rozemarie, Katherina und G.W. Sok in "Building A Broken Mousetrap" auf die Bühne bringen, sprengt den Rahmen des strengen Dreiakkordsports.
Am 11. September 2004 trat The Ex in der Knitting Factory in New York auf, gefilmt hat sie dabei Jem Cohen, der schon die Fugazi-Doku "Instrument" drehte. Gemeinsam mit Matt Boyd hat er diesen Konzertfilm erstellt, der doch zugleich soviel mehr ist: Kunstfilm, Dokumentation einer Performance und verfilmter Soundtrack einer Stadt.
Ausgerechnet in New York also spielen The Ex 2004 zum Auftakt ihrer Nordamerikatour. In der Hauptstadt des No Wave, der Heimat von Sonic Youth. Sie haben Nerven, und doch bin ich mir sicher: Wären Ranaldo, Moore oder Gordon im Publikum gestanden, sie wären begeistert gewesen (mal ganz abgesehen davon, dass sie zum Teil schon mit der Band musiziert haben).
Denn live sind The Ex eine Offenbarung. Das Fundament liefern Schlagzeugerin Katherina mit ihrem perkussiven Spiel, darüber zupft und streicht die kurz geschorene Basserin Rozemarie den Kontrabass. Die beiden Gitarristen Terrie und Andy scheinen nur selten Kontrolle über ihre völlig abgewetzten Klampfen zu erlangen, und über die ganze Kakophonie spricht und schreit Sänger Sok.
Der Sound von The Ex wird kaum zusammengehalten, oft hat es den Anschein, als würden die Bandmitglieder ihrer Experimentierwut nur zu gerne freien Lauf lassen. Rozemarie klopft ihren Bass ab oder sie und Terrie spielen mit kleinen Transistorradios am Tonabnehmer ihrer Instrumente herum. Gitarrensaiten werden bis zum Zerreißen gespannt oder mit Schraubenziehern malträtiert.
Man merkt The Ex an, dass sie schon seit Anfang der Achtziger im Geschäft sind. Die Musik ist eben geprägt von der Zeit, in der No Wave im Big Apple begann, die Runde zu machen. Als Kim Gordon den Bass in die Hand nahm, ohne zu wissen, wie man ihn spielt, als Thurston Moore mit einem Kreuzschlitz eine Brücke unter seine Saiten legte.
Und so erinnert das, was The Ex da auf der Bühne zelebrieren, und was im furiosen, zehn Minuten langen "I.P. Man" seinen Höhepunkt findet, auch an die späteren Innovatoren des US-Hardcore, Fugazi.
Kein Zufall also, dass ausgerechnet Jem Cohen für "Building A Broken Mousetrap" verantwortlich zeichnet. Und so großartig er die Holländer in Szene setzt, liegt hier auch der einzige Schwachpunkt der DVD.
Sind die ersten vier Songs des gut einstündigen Livemitschnitts in einer beeindruckenden schwarzweißen 16mm-Ästhetik gehalten, konnte sich Cohen es dem Booklet nach nicht leisten, die ganze Show auf diese Art abzudrehen. Deswegen sieht man die letzten Songs mit einer DV-Kamera in bunt gedreht. Der Bruch tut dem musikalischen Hochgenuss keinen Abbruch, stört aber den Gesamteindruck.
Dennoch ist "Building A Broken Mousetrap" mit seinen äußerst passenden visuellen Einschüben (Cohen und Boyd unterfüttern die Musik, die unkommentiert und uneditiert durchläuft, mit Aufnahmen aus Amsterdam und New York, mit Bildern von Aufbau und städtischem Verfall) ein großartiges Zeugnis des Könnens einer Band, deren musikalisches Genie vielleicht auch ihr größtes Hindernis ist. Für Liebhaber ungewöhnlicher Gitarrenmusik ist The Ex auf jeden Fall Pflicht.
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