laut.de-Kritik
Knarziger Noise'n'Roll im Geiste von Nirvana und Black Flag.
Review von Alexander WentlandJede Woche greifen Kritiker einschlägiger Medien in die große Newcomer-Lostrommel und adeln eine neue Garagenband zum Retter des Rock'n'Roll. Doch welche Kombo versteht es, hinter berechenbaren Retroposen und gleichförmigen Klangstrukturen noch die Essenz des echten, schmutzigen und kompromisslosen Rocksounds zu atmen?
Vom ersten Quietschen und Kratzen an quillt dem Zuhörer bei "Penace Soiree" von The Icarus Line eine dreckige Masse scheinbar undifferenzierten Gitarrenlärms entgegen. Knarzige Sechsaiter, scheppernde Drums und ein dichtes Gewirr aus kruden (Stör-)Geräuschen wecken Erinnerungen an die akustischen Verhältnisse in Daddys zum Proberaum umfunktionierten Werkzeugschuppen (den es in Wirklichkeit natürlich niemals gab). Doch statt verstaubtem Kellerrock dreschen einem die fünf Jungs aus Los Angeles eine Produktion um die Ohren, wie sie rotziger und energetischer kaum sein könnte. Aus jeder halb-verstimmten Gitarrenbreitseite trieft der rohe, grobschlächtige Punk-Spirit, wie noch in der vermeintlich "guten, alten Zeit", als die Anzahl der Tonsuren den magischen einstelligen Bereich nicht verließ. Dabei orientieren sich die absturzgefährdeten Flieger an den Stooges, Black Flag oder auch Nirvana.
Wenn erst einmal die Schmutzkruste in mühsamen Durchläufen abgekratzt ist, offenbaren sich charmante kleine Nuancen und sogar die eine oder andere düster angehauchte, vielleicht sogar eingängige Melodie. Auch wenn The Icarus Line zum Zeitpunkt der Erfindung des obligatorischen Klischees von Sex-, Drugs- und Rock'n'Roll noch nicht einmal auf diesem Planeten wandelten, zelebrieren sie diesen Lifestyle gleichwohl, als seien sie im versifften Tourbus zwischen Bierpulle und Schrammelgitarre aufgewachsen.
So machten sich die Jungs um den rotzigen Sänger Joe Cardamone (in den Anfangstagen noch als Kankersores) erstmals daran, die Live-Bühnen der Staaten aufzumischen. Nach dem Tod ihres Drummers legte das ehemals als Highschool Band gegründete Quintett seinen alten Namen ab und machte sich daran, als The Icarus Line das nächste Kapitel ihrer Historie zu schreiben. Das Debütalbum "Mono" erschien noch auf dem bandeigenen Label Buddyhead. Als Support für Bands wie die Yeah Yeah Yeahs, Primal Scream oder die Queens of the Stone Age erspielen sich die Jungspunde schnell eine eigene kleine Nische.
Immerhin haben sie dazu gelernt. Mittlerseile im sicheren Hafen des Majors, präsentieren sich die Garagenrock Hardliner mit ihrem von Alan Moulder (My Bloody Valentine, Smashing Pumpkins, Yeah Yeah Yeahs) produzierten Zweitling ein ganzes Stück reifer. Doch um den Rock'n'Roll diese Woche vor dem Untergang zu bewahren und die zweifellos überlegene Konkurrenz zu überholen, wird es wohl nicht reichen. Für einen entscheidenden Durchbruch zu den Gehörgängen des gemeinen Publikums fehlen die nötige Eingängigkeit und leider auch Selbstständigkeit.
Noch keine Kommentare