laut.de-Kritik
Etwas zu verkrampfter Alternative-Rock.
Review von Michelle-Marie AumannDas Power-Trio aus Wales hat es wieder mal geschafft: Es verwandelt vielversprechende Ideen in Songs, die unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Schade eigentlich, denn es gibt ein paar gute Tracks, die das komplette Album aber gerade nur so über die Ziellinie retten können. Der Rest wirkt einfach zu dröge.
Dabei gehört der titelgebende Opener definitiv zur besseren Sorte. Für Joy Formidable-Verhältnisse zeigt sich "Into The Blue" in einem relativ zahmen Gewand. Schrammelgitarre und anheizende Drums sucht man zwar vergebens, würde aber auch weniger zu poetischen Lyrics wie "I go back to the place that we won't go again / To live it over and over / Into the Blue" passen.
Ritzy Brian beschreibt die Angst davor, sich etwas Neuem und Unerwartetem zu öffnen. Zugleich fordert sie dazu auf, Mut zu zeigen und sich dieser Angst zu stellen: "Don't fear the move out of the past / Let time take your hand and guide you / Into the Blue". Die melodiöse Gesangsstimme bestreitet sie hier nicht allein, Unterstützung liefert Bassist Rhydian Dafydd. Anschließend lässt das Trio mit "Chimes" und "Sevier" die Alternative-Ballade hinter sich und schlägt den für sie typischeren rauen Ton an, wenn auch mit wenig Abwechslung und 08/15-Gitarrensoli.
Dennoch baut sich mit zunehmender Dynamik über die ersten drei Tracks immer mehr Spannung auf, die mit "Interval" dann wieder abflacht. Der fährt zwar mit Synkopen und auch Tamburin ordentlich Tempo und einen vielschichtigen Sound auf, bleibt dann aber in einer Endlosschleife mit angeklatschten Passagen hängen. Ein Beispiel für die eingangs erwähnte Kritik: Gute Ideen werden auf Biegen und Brechen viel zu weit ausgedehnt. Hauptsache, es wirkt komplex. Ob The Joy Formidable damit ihre Post-Rock-Tauglichkeit beweisen wollen - man weiß es nicht. Ein Phänomen, das schon auf "Hitch" (2016) zu hören war.
Zugegebenermaßen findet sich aber ein Song, der seine Länge von fünfeinhalb Minuten exzellent ausfüllt. Wenn alles klingen würde wie "Gotta Feed My Dog" hätte man einen ziemlich krassen Alternative-Banger vorliegen. Brians diabolisch anmutendes Flüstern geht unter die Haut. Man assoziiert direkt Bilder übernatürlicher Beschwörungen, wie man sie aus trashigen Fantasy-Serien kennt. Dröhnende Gitarre wechselt sich mit klirrenden Läufen ab, die sich im Solo in verzerrter Version zeigen. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses beinahe furchteinflößende Klangspektakel manch eine*n dazu bringt, Lust auf okkulte Praktiken im düsteren Wald zu bekommen.
Danach weisen "Back To Nothing", "Only Once" oder "Left Too Soon" wieder zu wenig Substanz für die lange Spieldauer auf. Darüber hinaus finden sich bei den beiden letztgenannten Titeln nicht mal im Ansatz eine gute Idee. Leider ein viel zu blutleeres Plattenende.
1 Kommentar
Vollste Zustimmung zur Rezi. Leider. Das ist schon mindestens tragisch, wie sich diese Band entwickelt hat. Andererseits ein weiteres Beispiel dafür, dass seine Instrumente (richtig) gut zu beherrschen lange noch kein ansprechendes und mitreißendes Songwriting bedingt.