laut.de-Kritik

Aus fremdem Gedankengut werden beseelte, unverwechselbare Lieder.

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Darf man eigentlich die lebendige Poesie eines toten Dichters zu seinen Gunsten verwerten? Als William Butler Yeats zeitlebens nach den Worten rang und symbolträchtige Verse schmiedete, konnte der dichtende Visionär natürlich nichts von seinem posthumen Treffen mit dem sehr regen Schotten Mike Scott ahnen. Auf "An Appointment With Mr. Yeats" wird die textliche Steilvorlage des irischen Literatur-Nobelpreisträges zum Grundbaustein des Waterboys-Monarchen. Dieser versteht es, die Fremdanleihe bestens zu phrasieren und ordentlich einzukleiden in ein Gewand, das aus keltischem Folk und kraftvollem Rock'n'Roll verwoben ist.

Schon während Scott besonders beachtete Alben wie "Fisherman's Blues" und "A Pagan Place" schuf und andere, weniger für Prachtexemplare gehaltene ("Room To Roam", "Dream Harder") in die Welt setze, aalte er sich innig im Yeats'schen Sprachschatz. Als Fußnote dient das zu Waterboys-gewordene Lied und ursprüngliche Gedicht "The Stolen Child", auf dem Scott erstmals 1988 seine Liebhaberei offenkundig zeigte. Die nun sorgfältig ausgewählten Texte liefern eine eindrucksvolle Gesamtschau von W.B. Yeats' Blickwinkeln, Prognosen und mystischen Erzählungen.

Das Instrumentarium ist mal unbändig, mal zart: So zeigen sich eine griechische Bouzouki-Laute, Cabasa-Rasseln, die irische Fiddle, das elektromechanische Mellotron und unzählig synthetische Sounds. Die Liste geht weiter wie auch die Menge der Musiker. Doch meist legt der besessene Mike Scott selbst Hand an und formt aus dem vorhandenen Gedankengut beseelte, unverwechselbare Lieder.

Es schlendert Aengus, der keltische Gott der Liebe, Jugend und Poesie umher und Scott schenkt ihm eine Panflöten-Melodie ("Song Of Wandering Aengus"). Sie haucht so zart, dass man glaubt, ihren Atem zu spüren. Eine berstende und alarmierende Orgel dokumentiert, wie der gleißende Vollmond sein wahres Gesicht zeigt ("A Full Moon In March"). Freundlich folgt "Sweet Dancer", das im Refrain einen betörenden Chor hervorbringt. In "Mad As The Mist And Snow" wird gen Ende aus dem anfänglichen Folk ein ausladendes Überraschungsmoment, gestützt vom einem Bläser-Allerlei und Steve Wickhams delirierendem Geigenspiel. Das pikante "September 1913" verabschiedet sich vom romantischen Irland jener Zeit und erinnert an die Stones der späten Siebziger.

Mit "An Appointment With Mr. Yeats" zieht Mike Scott den bereits 1939 verstorbenen Poeten aus dem Club der toten Dichter. Der große Yeats hätte dem bestimmt nichts entgegenzusetzen, käme er in den Genuss dieser stimmigen Verheißung.

Trackliste

  1. 1. The Housing Of The Shee
  2. 2. Song Of Wandering Aengus
  3. 3. News For The Delphic Oracle
  4. 4. A Full Moon In March
  5. 5. Sweet Dancer
  6. 6. White Birds
  7. 7. The Lake Isle Of Innisfree
  8. 8. Mad As The Mist And Snow
  9. 9. Before The World Was Made
  10. 10. September 1913
  11. 11. An Irish Airman Foresees His Death
  12. 12. Politics
  13. 13. Let The Earth Bear Witness
  14. 14. The Feary's Last Song

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