laut.de-Kritik
Knistern, zischeln, rumpeln - aus dem Kontext, in den Kontext.
Review von Klaus TeichmannDie Rezeption von Kunst ist Arbeit. Auch die Decodierung des Albums "Music Is A Hungry Ghost" der deutschen Vorzeigeelektroniker "To Rococo Rot", das sie mit dem New Yorker DJ und Musiker I-Sound produziert haben, bedarf einiger Anstrengung. Einfach machen es die drei Geräuschkünstler dem Hörer mit ihren neusten Klangteppichen nicht. Aufwand, der sich allerdings auch lohnt.
"Wir haben nach einem Baukastenprinzip gearbeitet. Es war allerdings nicht klar, wer welchen Baukastentyp benutzt hat", sagt Stefan Schneider in der Spex. Tatsächlich erinnern die fragil montierten Geräusche an ein philosohisches Werkzeugkisten-Prinzip Michel Foucaults - man picke sich beliebige Tools nach Gefallen einfach heraus und schließe sie kurz.
Knistern, Zischeln, Rumpeln, Geräusche unbekannter Herkunft floatieren durch den Raum und bewegen sich aufeinander zu, reagieren miteinander und laufen wieder ganz woanders hin. Soundkopplungen vom Feinsten. Robert Lippoks spricht in der De:Bug von einer "Absenz der Melodie". Harmonie, Eingängiges, Bekanntes wird systematisch suspendiert. Das Referenzsystem Pop, das in den beiden letzten Alben noch sanft durchschimmerte, wurde bei den neu gebastelten 13 Stücken weitestgehend überwunden.
Wer will, kann bei den Sound-Kollagen Identitäres
assoziieren, sich bei "For A Moment" für Sekundenbruchteile an Tina Turners "I Can't Stand The Rain" erinnert fühlen. Auch die beiden Stücke "Along The Route" und "From Dream To Daylight" mit dem Violonisten Alexander Balanescu bieten kurz Heimat an - ah eine Geige, das kenn ich. Aber eigentlich kommt "To Rococo Rot" ohne Identität und Ursprung aus. Herrlich arrangierte Geräusche einfach, wo vorne oder hinten ist, ist nicht mehr wichtig - "To Rococo Rot" oder rückwärts "To Rococo Rot".
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