laut.de-Kritik
Eigenwillige Vielfalt.
Review von Tobias LitterstAuf einen Schlag bringt der Opener das musikalische Geschehen in Gang: Das Schlagzeug spielt einen treibenden, funkigen Groove. Darüber breiten die Streicher eine Melodie mit allerlei Kurven und Zacken. Immer wieder scheren sorgfältig gesetzte Kapriolen aus dem rhythmischen Gefüge. Die Interaktion zwischen Drums und vier Streichinstrumenten ist im Jazz eher eine eigenwillige Ausnahme; zumal dann, wenn sie sich über die Dauer eines ganzen Albums erstreckt. Hier gelingt sie, weil die Musiker des italienischen Arke Quartetts hörbar Gurtus Freude am Experiment und an der Überschreitung musikalischer Grenzen teilen.
"Es hat lange gedauert, bis einige Leute verstanden haben, dass ich keinen amerikanischen Jazz spiele", erklärt der Schlagzeuger im Pressetext, der das Album begleitet. Tatsächlich kann man den zehn Tracks eine Fülle unterschiedlicher Klangsprachen ablauschen: Neben der indischen Musiktradition, mit der Gurtu aufwuchs, finden sich afrikanische Einflüsse, europäische Klassik oder Ambient-Sounds. Mit "The Cathedral" ist auch eine Hommage an englische Folksongs vertreten. So lässt sich der Albumtitel "Mirror", mit dem Gurtu auf den Menschen als Spiegel Gottes anspielen möchte, auch als Hinweis auf die Vielfalt verstehen, die in den einzelnen Stücken reflektiert wird.
Trotz dieser Vielfalt bleibt die Musik stets ein sinnvolles Ganzes. Verwoben werden ihre Elemente durch die Melodien, die den Songs jeweils zugrunde liegen. "Es gibt niemanden mehr, der so schöne Melodien spielt wie früher", meint Gurtu. "Ich höre junge Musiker, die eine Menge Noten auf ihren Hörnern spielen. Sie 'schreien' auf ihrem Instrument, sie mögen technisch perfekt sein, aber ich habe null Melodie gehört. So kam ich auf die Idee 'Wir brauchen Melodien'. All diese Techniker mögen gut sein, um auf YouTube anzugeben, aber die jungen Leute müssen auch gute Melodien spielen, die man sich merken kann. Niemand wird sich an ein Solo erinnern. Vielleicht an einen Lick im Solo. Aber eine gute Melodie ist etwas, an das sich jeder erinnern wird. Das war also meine Inspiration für dieses Album."
Diese Konzentration auf das Melodische gerät dem Album jedoch zum Problem. Eingängige Phrasen wiederholen sich zuweilen so oft, dass bei mir der Eindruck entsteht, ich sei in eine Warteschleife geraten. Besonders stark macht sich dieses Manko in den Stücken "Settembrino" und "I Am Your Mirror" bemerkbar. Zweifellos lässt Gurtu das melodische Material nicht in bloßer Wiederholung verkümmern. Das schöne "Tornavento" etwa bietet ausreichend Raum für Variation und Weiterentwicklung. Dennoch hätte dem Album ein solistischer Ausbruch von Zeit zu Zeit gutgetan.
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