laut.de-Kritik
Die modernste Reggae-Empress vertraut auf Ironie und Club-Beats.
Review von Philipp KauseWer würde heute Hip Hop, der nicht aus der Bronx stammt, aufgrund der Herkunft die Street Credibility absprechen? Im Reggae-Gewerbe betreiben leider immer noch genügend Leute im Fan-Lager, in Medien und bei Plattenfirmen das alte Gate-Keeping: Nur was aus Kingstons Ghettos kommt oder dort Vorfahren hat, firmiert als 'echt'. Dabei gelten oft die Roots Foundation Culture und der Dancehall als Engelchen und Teufelchen in der Dichotomie einer bipolar sortierten Welt. Artists wie Tuff Like Iron bringen das substanzlose Gehäuse dieser Konstruktion mit frechen Sounddesigns und einem bunten Themenmix unerschrocken und "Unbreakable" zum Einsturz.
Tuff wuchs in Trinidad und New York auf. Erst als Erwachsene dockte sie in Jamaika an. Sie lässt einerseits waschechte Roots-Recordings vom Stapel, andererseits Pop-durchtränkte Dance-Tunes, R'n'B-verwandte Lovers-Tracks und Traphall-inspirierte Electro-Nummern. Ihren Einstand gab sie als Spätstarterin vor gut zehn Jahren und behandelte Themen wie die Liebe zu Musik, den Auftrag, mittels Musik unser Leben zu verschönern, in "Dub Partys" Bob Marleys Erbe lebendig zu halten, und dann war da noch eine Kollabo mit einer Kolumbianerin: "No Police" sezierte auf Englisch und Spanisch schon Jahre vor dem Fall George Floyd rassistische Gewalt staatlicher Ordnungshüter und garnierte im Videoclip brutale Bilder aus Demos mit News-Headlines.
Nach ihren Alben "Ironic" und "Ilemental" wartet die Selfmade-Künstlerin, Modedesignerin, Webshop-Inhaberin und Mama mit einem neuen Song-Dutzend auf. Kreative Musik muss man sich heute leisten können, sie droppt sie nebenbei, nonchalant, ohne Anspruch auf den Durchbruch. Dabei entstand ein buntes wie leicht zugängliches Album: So anschmiegsam fürs Ohr, dass überhaupt nicht nachvollziehbar ist, wieso Tuff zu den überhörten Stimmen der Karibik zählt.
Ihre Stimme ist nahbar und sucht das Zutrauen der Hörer:innen, gerne setzt sie sie für ooo-aaa-Bögen ein. Trotz ihres Alters von 38 wirkt Tuff Like Iron wie ein unschuldiger Teenie und malt ihr freundliches Näseln in die Aufnahmespur. "All Time High" referiert auf die Ganja-Kultur, die sie aufs Feinste in ihrem alten und visuell schönen Clip zu "Orange Peel" zelebriert. Im neuen Track ist sie zusammen mit Falsettsänger Evie Pukupoo 'high'. Ein relaxter und beim Zuhören entspannender Tune!
"Slap!" clappt auf einer Trap-Snare und feiert ebenfalls das Smoken. Das blecherne und trotzdem elegante "Sometimeish" punktet als Tropical-R'n'B-Ohrwurm. "The One" zeigt Tuff in den Strophen etwas bissiger, in der Analyse der "serious times" und der Wahl zwischen Pen versus Gun, um die Welt umzustürzen. Den systemkritischen Zeilen setzt sie eine poppige "na-na-na-na"-Hook entgegen. Das Lifestyle-Toasting "Rollout" ist kein ganzes Lied, eher ein Fragment, vermittelt als Outro aber, dass Konsumgewohnheiten und innere spirituelle Haltung miteinander verknüpft gehören.
"Sunshine - roots - sippin' Bacardi", diese Kombi widerspricht hingegen der reinen Lehre. Zur Foundation-lastigen Fraktion zählt dennoch so halbwegs der Stepper-Rhythmus "Roots Wine", in dem Tuff diesen Slogan trällert. Das Stück sprüht ein Haufen Wortspiele in den Äther, Bassline trifft auf Waistline, und die Singer/Songwriterin überlegt, wie viel Zeit man beim Warten auf Haile Selassie in Facetime verschwende. Dazu blubbert ein clubbiges Urban-Sounddesign.
"Everything" zeichnet sich durch eine vergleichsweise weiche, aber bassreiche Beat-Struktur aus. Der Songtext zollt Marvin Gayes Einsatz der 808-Drum Machine in "Sexual Healing" Tribut und kontrastiert unsere Mammon-basierte Welt mit mentaler Gesundheit und dem Stellenwert des Glaubens. Der verträumte Downbeat mündet in ein smartes, hartes und wunderschönes Dub-Outro.
"Balance" über gesundes Essen folgt dem straighten Roots Dub von Tuffs 2018 releastem Debüt "Ironic", das in der Tat vor Ironie strotzte. Tuff setzt in "Balance" Kopf- und Bauchstimme gegeneinander ein. So erweckt sie den lebhaften Eindruck, das Stück sei ein Duett, dabei verkörpert sie beide Personen. Die Reverbs aus dem Sequencer sind ein Fest in Sachen elektronischer Bassmusik und sorgen für Space-Atmo. Der bratzelnde Ragga-One Drop "Cool And Deadly" bildet ein weiteres Highlight in der rootsigen Fraktion des Albums.
Wem Hempress Sativa zu viel Pathos und Geschichtsstunde hat und wem bei Jah9 zu viel an Jazz und Opernanteilen drin steckt oder von beiden die Output-Menge zu gering ist, findet in Tuff Like Iron eine lockere Entertainerin mit scharfer Zunge, freshen Vocals und einer schnörkellosen, geradlinigen Produktion. Im Yin/Yang-Prinzip fokussiert sie mal auf die Höhen, mal auf die Tiefen in der Klangresonanz. Tuff Like Iron ist die modernste der heutigen Rasta-Empresses. Ihren eigenen Liedtitel "Thanks Again" kann man nur zurück geben: Danke nochmal für die schöne Musik!
1 Kommentar
Interessantes Projekt: Wie schaffe ich es, Reggae noch nervtötender machen?