laut.de-Kritik

Hank kommt sich vor wie Napoleon auf St. Helena.

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Für Turbonegro-Fans und solche, die es noch werden wollen, ist dieses Jahr ein gutes Jahr. Mit ihrem zweiten Album nach der vierjährigen Zwangspause, "Babylon Forever", beweisen Turbonegro, dass "Scandinavian Leather" keine Eintagsfliege war. Die Weltturbojugendtage finden zum zweiten Mal in Hamburg statt, eine Tour folgt im Sommer und als Vorgeschmack gibt es diese wunderbare DVD.

In einer fast einstündigen Dokumentation, die vom norwegischen Fernsehen (!) produziert wurde, erlangt der Zuschauer einen tiefen Einblick in das Seelenleben der Band und die Zeit während ihrer Trennung von 1998 bis hin zum fulminanten Comeback 2002. Sänger Hank redet offen über seine Heroin-Abhängigkeit und wie diese die Band fast ruiniert hätte. Der Film zeichnet seinen Entzugs-Aufenthalt auf den atemberaubend schönen Lofoten nach, wo Hank einen Teil seiner Kindheit verbrachte.

Sicher wissen nicht viele, dass er dort als Führer im örtlichen Fischereimuseum und als Radio-Moderator gearbeitet hat. Es wirkt schon ein wenig komisch, wenn der Mann, den man sonst als dunkelsten aller Denim Demons kennt, über Nordlands-Boote und Walfangmethoden doziert. Und wenn er Dinge sagt wie: "Das Einzige, was mich am Leben hielt, waren meine Großeltern und mein Glaube an Gott."

Fast schon erstaunlich, wie normal diese sechs Derwische sein können, die einen der absurdesten Rock-Acts zusammenstellen, den man derzeit kennt. Wenn Happy Tom mit Goretex-Outfit Hank auf den Lofoten besucht oder sich die Band in einer hippen Bar in Oslo trifft, mag man nicht so ganz glauben, dass nach diesen Bildern ein Album wie "Scandinavian Leather" entstand und Turbonegro auch 2005 noch voll im Saft stehen.

Doch je näher der erste gemeinsame Auftritt nach dem vorübergehenden Split in einer Psychiatrie in Italien 1998 rückt, desto mehr verwandeln sich die sechs Turboneger zurück in ihre gewohnten Alter Egos. Der Clip aus dem Proberaum verrät, dass alles gut werden wird, und wenn sie das erste Mal wieder Schminke auftragen und zu "Three Lions" die Bühne betreten, weiß man: Alles ist gut. Hank ist sauber und voll dabei, ready for some (more) darkness.

Wie sollte es auch anders sein, denn Hank hat heimlich geübt, wie er selbst gesteht: "Es ist kein großer Unterschied, ob ich den Leuten die Geschichte dieses Ortes beibringe oder die Poesie von Turbonegro rezitiere," sagt er über seine Arbeit im Fischereimuseum. Die Dokumentation endet mit Auftritten beim Quart-Festival und dem Bizarre 2002, obendrein gibt es noch einen etwa 35 Minuten langen Mitschnitt vom Quart-Gig. Pal Pot backt in einem kurzen Spot Pizza, und eine hübsche Fotogalerie ist unterlegt mit Mambo Kurts Version von "Prince Of The Rodeo".

Hänger gibt es auf der DVD nicht, die Dokumentation ist aufschlussreich und zeigt Turbonegro von einer ungewohnten Seite, der Gig-Mitschnitt überzeugt in Ton und Bild, die Extras sind zwar Extras, aber liebevoll gemacht. Wer noch mehr will, kann sich unter www.turbonegro.com eine Doppel-DVD-Version mit zusätzlichem Material - unter anderem frühen Liveaufnahmen und Videos - sichern. Ansonsten bleibt eigentlich nur noch, die Arschrakete zu zünden und auf "Babylon Forever" zu warten.

Trackliste

  1. 1. "The Reserection" TV-Dokumentation
  2. 2. Live vom Quart-Festival
  3. 3. "Rendezvous With Anus" vom Hultsfred 2002
  4. 4. "Hobbit Motherfuckers" vom Bizarre 2002
  5. 5. Extras

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