laut.de-Kritik
Die größte D&D-Kampagne der Musikwelt.
Review von Yannik GölzWas für ein komischer Fall die Twenty One Pilots sind. Die existieren jetzt seit nunmehr fünfzehn Jahren in ihrer eigenen Nische und sind dort so spektakulär erfolgreich, wie man es nur irgendwie sein kann. Für die Single "City Walls" haben sie mal eben eines der teuersten Musikvideos aller Zeiten produzieren lassen. Fans könnten Archive mit Theorien und Interpretationen füllen, was die Band über die Jahre an Storytelling produziert hat.
Schreitet man nur einen Schritt aus dieser Nische heraus, dann ist Twenty One Pilots eine einigermaßen corny Band, die Anfang der Zehnerjahre mal diese 1-2 Hits hatte. Und vielleicht später ein mehr oder weniger brauchbares Album. Aber das Duo steht gerade in einem ungünstigen Winkel des Nostalgie-Fensters. Noch wurden sie nicht wie MCR oder Panic! liebevoll neu bewertet. Stand Jetzt sind sie einfach so big, wie man als Außenseiter-Band irgendwie sein kann. Dabei liefert "Breach" auch für Außenstehende gar kein so schlechtes Argument dafür, dass auch sie schon bald die kritische Neubewertung verdienen sollten.
"Breach" ist ein Album, das einen großen Bogen um die Lore der Band spannen möchte. Und das ist ja schon einmal das erste Problem. Was zum Fick ist überhaupt Lore? Lore entsteht dann, wenn die Fandom um Musiker*innen herum selbsterhaltend wird. Taylor Swift hat Lore. BTS haben Lore. Und Lore kann fließend verwendet werden für alle kanonischen Privat-Ereignisse eines Künstlerlebens - oder für ein die Musik überspannendes größeres Storytelling, das man als Casual gar nicht unbedingt mitbekommen würde.
Twenty-One Pilots haben letzteres quasi erfunden. Ihre Musik hat einen unüberschaubaren Wust an Storylines und Charakteren hervorgebracht, den jetzt zu verstehen sich anfühlt, als wolle man 2025 versuchen, mit One Piece anzufangen. Es ist a lot. Wichtig für uns ist, dass es für Fans der Band eine riesengroße Sache war, dass für dieses Album der Charakter "Blurryface" zurückkehrt, obgleich auch ein Charakter namens "Torchbearer" auftaucht, weswegen sie dieses erzteure neunminütige Musikvideo drehen mussten, das das alles mehr oder minder erklärt. Oder auch nicht: Das Ding an Lore ist, dass Musik ein seltsames Vehikel für Storytelling ist - und Lore deswegen immer nur in Andeutungen wirklich erzählt wird. Die eigentlichen Storytelling-Vehikel sind nämlich die Tumblr-Posts und die YouTube-Videos, in denen die Fans die ganzen Vorstöße so richtig ausmalen und lebendig werden lassen.
Ich erzähle euch das alles, weil Lore die Sache ist, mit der "Breach" ringt. Im Positiven: Das Intro ist ein liebevolles, kauziges Argument dafür, mit Rock- und Popmusik auf diese Art und Weise Dungeons & Dragons zu spielen. "Square up with me, I can take your right, throw a left / Pair up with me, I'ma take you right to the chest" eröffnen sie den Song wie ein routinierter Game-Master. "Buckle down, this is possibly the furthest we've reached / Now move it up, move it up, it's a breach", schließt der Song. Ich liebe diese Doppelbödigkeit: Einerseits die Ankündigung, dass das unser größtes, epischstes Abenteuer wird. Aber auch die Idee, dass das jetzt ein riesiger "Reach" wird - die Fantasie könnte hierunter tatsächlich knacksen.
Was machen wir also an den Grenzen der suspension of disbelief? Ganz grundsätzlich: Wir haben erstmal Spaß. Wir kriegen Tracks wie "Drum Show" oder "Robot Voices", die diesen sehr spezifischen Flavour an Popcornkino-Fantastik mit ein bisschen Grimdark und ein bisschen urbanem Einschlag machen, für den das Duo bekannt geworden ist. Die Tracks haben ein gutes Gefühl für Timing und Textur. Klar, Twenty One Pilots sind nicht Radiohead oder so, aber sie wissen, wie sie aus ihrer Form ein paar interessante, gut zusammengesetzte Sounds herausholen.
Tracks wie "RAWFEAR" oder "Garbage" zeigen, dass die Band definitiv die ein Jahrzehnt in die Zukunft mutierte Nachfolge all der klassischen Nullerjahre-Warp-Tour-Acts ist. Da kommt dann gerne auch mal das Händchen für die Corniness mit herein. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum der Refrain von ersterem Track "Raw fear moves me, sounds of empty Uzis / Life is just forever nipping heels, never slowing down" tönen muss. Wo kommen die Uzis her? Auch "I feel like garbage" als reines Hook-Statement ist sicher nicht subtil.
Aber irgendwie ist es charmant, dass "Breach" sich nicht verpflichtet fühlt, subtiler oder Hipster-cooler zu sein. Um den Vergleich noch einmal zu bemühen: Twenty One Pilots ist eine Dungeons & Dragons-Gruppe, die sich an dem Punkt so tief in ihre eigene Welt verstrickt hat, dass man sie kaum noch in Kontext zu anderen Bands lesen kann. Sie passen nicht zu den Entwicklungen der restlichen Szene, sie treten in keinen Dialog zur Welt.
Sie spielen ihr Spiel genau so, dass es ihre Fandom geil findet. Und wenn man sich darauf einlässt und versteht, warum manche Aspekte ihrer Mucke und dieses Albums dann eben auch mal mit gusto lame sein dürfen, dann ist dieser Tabletop-Musikworkshop eine überraschend charmante kleine Ecke der Musikwelt, die mir auch als Nicht-Akolyth immer wieder ehrlich Freude bereitet.
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