laut.de-Kritik
90s-Revival oder Style-Überbleibsel - wo liegt der Unterschied?
Review von Dani Fromm"Gut Ding Will Weile Haben". Schon klar. Aber musste es wirklich so lange dauern? Mehrere Jahre hat Umse an "Wachstum" herumgebrütet. So lange, dass er in der öffentlichen Wahrnehmung schon beinahe wieder vom Radar gerutscht ist. Den Mann aus dem Pott allerdings könnte es weniger gar nicht tangieren.
"Mir bleibt nix übrig, als mir Zeit mit meiner Platte zu lassen", rechtfertigt er die ausgedehnte Sendepause. "Es braucht halt seine Zeit, bis die Soundästhetik reift."
Bei Fans der goldenen Ära dürfte selbige, liebevoll ausgefeilt von der kundigen Hand von Umses Produzenten Deckah, dann auch offene Scheunentore einrennen. Dicke Bässe küssen klassische Soul-Samples: "Wachstum" klingt von vorne bis hinten superangenehm. "Nice Rhymes auf'n Beat", serviert Umse dazu. keine Frage: "Dieser Scheiß ist mein Ding." Er flowt unaufgeregt und sicher wie eh und je, ohne sich dabei allerdings in technische Extravaganzen zu versteigen. Daran bleibt wenig zu mäkeln, so lange Umse wie ein Dendemann mit weichgespülten Stimmbändern wirkt.
Vielleicht hätte der eine oder andere Featuregast das auf Dauer doch recht einseitige Klangbild aufgelockert. Doch nix da: Umse und Deckah halten strikt an der klassischen Ein-MC-ein-DJ-Besetzung fest, selbst, wenn hier und da eine Hookline nach Gesang verlangt: "Brauch' keine Sandy oder Mandy für den Chorus." Dat stimmt. Umse besorgt sichs alleine, und das gar nicht schlecht.
Von Beginn an gibt er die Richtung vor: "Berg Auf". Umse genießt sein "Leben, weil es nichts bringt, immer nur den Zweifler zu mimen". In Tagen, in denen seine Geschlechts- und Altersgenossen rudelweise im Jungmännerdepressionen ersaufen, macht "diese positive Tightness" Umse tatsächlich zu einer Art Exoten. Dafür darf man gerne einmal Danke sagen. Danke!
Trübsinniger als in "Du Weißt Wie", das das Ende einer Beziehung beschreibt, wird es zum Glück nirgends. "Ich wollte doch nie wieder 'nen Song schreiben, der einen runterzieht", schilt er sich darin selbst aus. "So sollte das hier auch gar nicht klingen.". Keine Sorge: Im Vergleich zu den Törns auf dem großen Tränenmeer, auf die andere einen mitnehmen, tönt das hier geradezu nach einem Spaziergang durch den Blumengarten. Die selbst auferlegte Mission, "Shit für den Sommer" zu liefern, hat Umse voll erfüllt.
"Es ist das gleiche Rezept wie zu der Zeit, wo ich Rap für mich entdeckte", gesteht Umse in "S'waack" offen ein. Einerseits garantiert das Um-sich-Werfen mit Soulgranaten Kulissen von klassischer Schönheit und Eleganz. Ein musikalisches Wagnis gehen die Herren Umse und Deckah damit aber nirgends ein, sie tragen nichts zu einer Entwicklung in irgendeine Richtung bei. Die findet schlicht gar nicht statt. Ein Preis für Originalität oder Innovation lässt sich, so hübsch das Ergebnis auch klingen mag, nicht gewinnen, indem man Überraschungen konsequent vermeidet.
Auch thematisch findet Umse offenbar kein noch nicht vielfach bestelltes Feld. Gepflegte Selbstabfeierei, die Liebeserklärung an den Hip Hop (zugegeben: zauberhaft zelebriert in "WWW 2012", das zudem noch die Curse'sche Rapgesetzgebung zitiert), die überstandene Trennung, Beziehungs-Tipps allgemein ("Good Girl Go Bad"), leise nostalgische Rückblicke auf die guten alten Zeiten ("Alles Geschichte") oder die Rückkehr in die Kleinstadt ("What Are They Doing") - ein Déjà-Vu reiht sich ans nächste.
Das leise nagende Fernweh führt einen gerade einmal bis auf den "Balkon", wo man sich bequem (und völlig gefahrlos) einrichten kann. Am ausgefallensten wirkt da noch "Wüste" mit seiner konsequent durchgehaltenen Bildersprache.
Auf Albumlänge hintereinander weg serviert, erscheint alles ein bisschen zu happy. "Kein 90s-Revival, sondern ein Style-Überbleibsel" - wo genau soll da der Unterschied liegen? Als Ganzes betrachtet, fehlen "Wachstum" - inhaltlich wie musikalisch - Abwechslung und Mut. An Seele mangelt es dagegen nirgends. Einzeln aufgetischt, birgt jeder Track Glücksmomente und Genuss. Garantiert.
21 Kommentare
So lange war Umse auch nicht weg, es gab ja zwischendurch noch eine grandiose Free-EP mit 8 übertighten Tracks.
Umse ist halt ein Golden-Era-Kind und das kann er vorzüglich, niemand erwartet von ihm neue Styles, wenn er doch das was er tut derart meisterlich macht. Auf der fehlenden Entwicklung (wohin soll er sich denn entwickeln?)
Most underrated MC in ganz Deutschland.
Pflichtkauf (wie immer bei ihm).
Hier die Release-Übersicht dieses übertalentierten Übersympathen:
Alben:
2008: Rheinisches Blatt
2010: Allerhöchste Eisenbahn
2013: Wachstum
Free-EP:
2006: Smart und Weise
2012: Lieb es oder lass es
Und schon jemand reingehört?
Bisher zähle ich hier zwei Käufer... das ist mir noch zu wenig, wer noch?
Umsemann im Backspin-Interview:
http://backspin-media.de/archive/39328
Kaufen, Leute, supportet wahres Herzblut!