laut.de-Kritik
Sogar Olexesh ist hier "super nett und ganz korrekt."
Review von Dani FrommMan muss etwas nur oft genug behaupten, dann glauben es die Leute irgendwann. Ich stelle mir vor, wie die Verantwortlichen darüber gebrütet haben, wie sich Vanessa Mais neues Album widerstandslos an den Käufer bringen lässt. "Mit dem Titel kriegen wir schon mal das Schlager-Publikum. Und für alle, die damit Berührungsängste haben, tun wir einfach so, als sei gar nicht drin, was draufsteht. Jedenfalls nicht nur."
Das Presseinfo gießt eine solche Sturzflut redundanter Phrasen aus, dass sich die verzweifelte Hoffnung schier mit Händen greifen lässt. Vanessa Mai ist demnach eine Künstlerin, die allzeit den "Grenzgang" sucht, sich "gewehrt" habe, "in einer musikalischen Schublade zu stecken". "Schranken und Zäune sind nichts für sie", weshalb sie nun "Balken weggeräumt, Zäune durchgeschnitten, Schubladen gesprengt" haben will.
"Schlager" öffne sich "zur musikalischen Symbiose", alle Beteiligten seien "frei von Genre-Denken", irgendwo fällt auch noch das Wort "Bandbreite". Falls es jemand noch nicht gerafft hat. Dann hören wir rein und stellen fest: Vanessa Mai liefert genau, was der Titel ihres Albums verspricht. Ohne jeden Charme, Witz oder auch nur den kleinsten inhaltlichen oder musikalischen Schnörkel. Eine sterbenslangweilige Angelegenheit.
Diese Wahrheit wäre ja wenig absatzfördernd. Also schwadronieren die Promo-Profis lieber von der "ungewöhnlichen Kraft ihrer Stimme". Zumindest das "ungewöhnlich" stimmt: Einer Sängerin mit einer Range von gefühlt einer Dreivierteloktave, null Stimmvolumen und keinerlei Ausdruck in ihrem Vortrag begegnet man tatsächlich nicht alle Tage. "Bandbreite"? Am Arsch. Keine Regung, keine Variation. Vanessa Mai klingt immer gleich, egal ob sie - was sie abwechselnd tut - vom endlosen Liebesglück oder vom Ende des Liebesglücks erzählt.
"Wenn wir uns wie-der-seh'n lass' ich dich nie mehr geh'n" Haus-Maus-reimt sie sich durch die Eröffnungsnummer, um im folgenden noch ein bisschen an den abgegrabbeltsten Bildern vom Metaphernschlussverkauf herumzufingern: Sommer, Sonne, Strand und Meer kommen im preisgünstigen Doppelpack mit dem allzeit himmelblauen Himmel. Es sei denn, es ist gerade Tragik angezeigt, dann regnet es selbstverständlich. Im Zauberland steht die rostige Gefühlsachterbahn, es wird hoch geflogen, bis zu den Wolken, und unmittelbar danach tief abgestürzt - aber immer auf Nummer sicher, immer schön mit "Fallschirm".
"Nie mehr allein aufgewacht", schmachtet die eine Nummer, während die nächste klagt: "Du liegst nicht mehr neben mir." Einen Track später heißt es schon wieder: "Du machst mich jeden Tag stärker." Wer soll in diesem On-Off-Chaos durchblicken? Die Logik ist angesichts der Schräglage der Bilder da aber längst über Bord gegangen. "Und steh' ich auch im Regen, liegst du neben mir und scheinst." Wer sich das bildlich vorstellen kann, ohne das Szenario wenigstens ein bisschen seltsam zu finden, nimmt vermutlich genau die Downer, nach denen Vanessa Mais Darbietung klingt. "Spaß haben und authentisch sein" stehe bei ihr an erster Stelle. Gut, dass das jemand dazugeschrieben hat. Hören würde das niemand.
Auch, dass es sich bei den zopfigen 90er-Vierviertel-Karussellbremser-Bummsbeats, von vorne bis hinten begleitet von billigen Echoeffekten, Keyboards aus der Großraumdiskohölle, hier einer Gitarre und da einem Fingerschnippen, um "neuen, zeitgemäßen Sound", um den "Sound unserer Tage" handeln soll, wär' mir von alleine kaum aufgefallen. Ich hätte das sonst glatt für etwas auf-ge-bassten Aufguss von Den Harrows "Don't Break My Heart" oder ähnlichen Gruseligkeiten aus glücklicherweise überstandenen Jahrzehnten gehalten.
Sollte die "ganz besondere Story, die unbedingt erzählt werden muss", stimmen, liefert sie nichts weiter als den Beleg dafür, wie mühe- und ergebnislos sich ein Reisebudget verplempern lässt. Aus Vanessa Mai wird halt kein Michael Jackson und aus ihren nichtssagenden, einfallslosen Liedchen kein "Thriller", bloß weil bei den Aufnahmen dasselbe Mischpult Verwendung fand. "Fallschirm" mag in Los Angeles im Paramount Studio entstanden sein, von dem beschworenen internationalen "unglaublichen Flair, das dich da umhüllt", hör' ich original nix.
Zwölf öde Tracks hätten eigentlich vollauf gereicht. "Schlager" tischt trotzdem gnadenlos ein Doppelalbum auf. Die zweite Platte birgt - Obacht! - die "größten Songs ihrer letzten Jahre und auch aus ihrer 'Wolkenfrei'-Zeit". Als ob irgendjemand bei Vanessa Mais ausufernder Diskografie - jeweils zwei Wolkenfrei- und zwei Soloplatten - eine Chance gehabt hätte, den Überblick zu verlieren. "Alle Songs sind neu eingesungen und in einen neuen, zeitgemäßen Sound gebettet. Um sich vorzustellen, wie DAS klingt, braucht man in etwa so viel Fantasie wie für die Zusammenstellung dieser Tracklist. Bumm-bumm-bumm-bumm.
Eigentlich fast schon wieder süß, wie "Schlager" auf so vielen Ebenen genau das ist, was es so wortreich nicht zu sein behauptet, auf jeden Fall aber mitleiderregend. Die Texte reden von ewiger Liebe, die aber hält gerade einmal bis zum nächsten Song. "Wir wollen heute eskalieren", nölt Vanessa Mai, und dir schlafen die Füße ein. Was alle Nase lang "wild" und "verrückt" sein will, versandet in biederen Sachbearbeiterinnen-All-incluvive-Urlaubsträumen, in denen die große Freiheit darin besteht, in Jeans und T-Shirt am Strand entlang zu spazieren.
"Du nimmst mich bei der Hand, ich zeige dir das Zauberland." Ganz ehrlich: Purs Abenteuerland hatte Aufregenderes zu bieten und deren Hartmut Engler trug vielleicht eine fragwürdigere Frisur spazieren, verfügte aber ganz sicher über einen um ein Vielfaches umfangreicheren Wortschatz. Am Ende der hier vorliegenden insgesamt 24 Tracks quellen einem die allgegenwärtigen Sonnen, Wolken und Sterne, Strände und Farben zusammen mit der Zuckerwatte nur so aus den Ohren.
Den einzigen winzigen Hauch von Abwechslung bringt Olexesh mit, auch wenn die Mär, wie er und Vanessa Mai via Instagram angebandelt haben sollen, sich schon wieder als eine einzige Klischeepolonaise präsentiert. Bezeichnend, für wie blöd man seine Kundschaft ganz offensichtlich hält, wenn man denkt, irgendjemand könnte wirklich glauben, die Kontaktaufnahme sei genau so abgelaufen, und nicht etwa von geschäftstüchtigen Marketing-Leuten hinter den Kulissen eingefädelt worden.
"Er ist auch super höflich und super nett und ganz korrekt", so Vanessa Mai über ihren Featuregast. "Hat mich sehr überrascht als wir dann im Studio waren, wie kreativ und schnell er gearbeitet hat." Ja, Mensch, schau an: Ein Rapper kann kreativ sein, zielstrebig arbeiten und dazu noch nett, höflich und korrekt sein! Wirklich überraschend! Bloß gut, dass Vanessa Mai keine Genre-Grenzen kennt. Sonst würde sie am Ende noch merken, wie tief drin im Schubladendenken sie gefangen ist.
18 Kommentare mit 26 Antworten
Speedi würde jetzt sagen:
Ein auf- die Ohren -Schlager voll bringt diese Vanessa May gewiss beim Hörer. Keine Konkurrenz zu Tool- Werkzeug
Btw Scherz beiseite: Finde das ganze Rumgereite auf OL müßig, allemal besser als so clowneske Arabesken wie Arschkontrolle. Das war schlimm und hat fast das gelungene Masta Album versaut
Ungehört freilich 1/5, aber ich vermute einfach mal, die Grablegung ist gerechtfertigt.
Beschissener als Magisch kann sein Ausflug in den Schlagerhimmel ja kaum sein. Für den Track gehört er öffentlich gehängt.
Realtalk
trotzdem ist olexesh mit weitem abstand das beste an dieser platte.
Naja, aber immerhin ist die mehr als bumsbar.
hatte der olexesh wahrscheinlich auch im hinterkopf, als es um die bezahlung für sein feature ging.
Naja, kann man ihm nicht verdenken. Kann bei ihr auf jeden Fall eher verstehen, dass man sie mal gern abknicken möchte als bei der russlanddeutschen Helene.
das auf ist auf jeden fall next level shit. der engstirnige rezensent merkt es leider nur nicht. aber das ist halt das schicksal von grenzgängerinnen wie robyn, charli xcx, björk und vanessa mai. erst jahre später versteht man ihre werke und beginnt sie zu appreciaten.
ja next level Bierzeltmukke vielleicht.. OMG ich muss echt mehr mit dem Time Steppen
Manche Genres werden hier doch aus Prinzip schlecht bewertet!
Nur, weil es deutsch ist
Top Rezi ♥