laut.de-Kritik
Austausch von Zärtlichkeiten in beklemmender Atmosphäre.
Review von Martin MengelePatrice Chéreaus Film "Intimacy" war der kontroverseste Beitrag zur diesjährigen Berlinale. Mit nervöser Handkamera zeichnet Chéreau darin eine tragische Liebesgeschichte im London der Gegenwart und schreckt dabei vor freizügiger Darstellung von Sexualität nicht zurück. Jay, der Barmann und Tagedieb, der Frau und Kind verlassen hat, trifft sich jeden Mittwoch mit Claire, einer verheirateten Frau und Schauspielerin auf ein Schäferstündchen. Geredet wird dabei nicht viel, es kommt nur zum Austausch der nötigsten Zärtlichkeiten und die beiden kennen sich fast nicht. Doch Jay möchte hinter das Geheimnis seiner Gespielin kommen und spürt ihr durch die Straßen von London nach.
Ein unkonventioneller Film, der tief in die Abgründe seiner großartig gespielten Protagonisten blicken lässt. Für manchen Geschmack wohl zu tief und ohne Rücksicht auf den Zuseher. Die beklemmende Atmosphäre, die Patrice Chéreau in den Bildern erzeugt, unterstreicht Eric Neveux mit seinem Soundtrack. Nicht nur dadurch, dass er einen wundervoll melancholischen Score für den Film komponierte. Er war auch dafür zuständig, existierende Werke aus der Zeit zwischen 1975 und 1985 zusammenzutragen, die am besten Jay's Story widerspiegeln würden.
Mit der Unterlegung des Vorspanns durch "A Night In" von den Tindersticks öffnet er gebührend den Vorhang für das, was den Zuschauer noch erwarten mag. Natürlich darf bei einer derartigen Geschichte nicht die Hymne an London schlechthin fehlen - "London Calling" von den Clash, mit einem völlig vergrölten Joe Strummer am Mikro. Auch der Griff nach David Bowies heroinverseuchtem "Candidate" ist ein glücklicher und verdeutlicht die trostlos-realistische Stimmung des Films. Dass Marianne Faithful als gescheiterte Existenz in dem Film zwar mitspielt, jedoch dem Soundtrack keinen ihrer traurigen Songs beisteuern durfte, verwundert an dieser Stelle ein wenig. Wenn aber Nick Cave den Elvis-Klassiker "In The Ghetto" intoniert, erschaudert man angesichts der hilflosen Situation der Hauptfigur. Iggy Pop und seine Stooges legen mit ihrem total kaputten "Penetration" den Suizid als Ausweg nahe.
Zwar wurde der Streifen als bester Film und Kerry Fox als beste Schauspielerin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, der Soundtrack wird aber trotz der genialen Zusammenstellung keinen Grammy gewinnen und ist ohne Bilder genauso hilflos und bedrückend, wie die Hauptfigur.
Noch keine Kommentare