laut.de-Kritik

Schlaftrunkenes und Spannendes voll starker Stimmungen.

Review von

Wire wirken wie in einem milden Alterswerk, was die Sache nicht gerade mitreißend macht. "Mind Hive", das 17. Studioalbum der englischen New Wave-Heroen, ist trotzdem eine schöne Platte. Allerdings lässt sich wenig von alldem Verstörenden und Experimentellen erkennen, das diese einzigartige Band mal ausmachte. Biss oder Erfindergeist zeigen sich vereinzelt, aber doch zu punktuell. Wer sich auf ein Album von Wire freute, wusste in den 80ern nicht, was kommt – nur, dass es 'anders' klingen würde, als alles andere auf dem Markt. Heute klingt vieles vor allem nett.

Dynamisch startet der Songreigen mit dem trockenen "Be Like Them" und dem vor Klangdichte strotzenden "Cactused"; später folgt noch ein drittes, härteres Stück, "Hung". Wire vertrauen auf ein paar wohl gesetzte Stromstöße ("Be Like Them") oder einfach straightes Gitarre-/Schlagzeug-Spiel ("Be Cactused"), fiepend-reibenden Noise und triefende Bass-Riffs ("Hung"). So erzeugt die Band besonders in den instrumentalen Passagen durchaus Spannung. Trotzdem packt nur einer der Tracks, "Be Cactused". In den anderen stört der Gesang Colin Newmans ein bisschen, denn der wiederholt oft wenige Textteile bis zum Umfallen.

Instrumental passieren dagegen, etwa im langen Song "Hung" dramatische Dinge, die wie der Sound zu einer Kunst-Installation klingen. Im wohl interessantesten Tune, "Be Cactused", besticht dagegen die Kombination aus sphärischem Hintergrundgesang, undurchdringbarer Gitarren-Wand und rätselhafter Lyrik. Kann man zu einem Kaktus werden? Aus Draht (engl.: 'wire') geflochtene Kakteen sind derweil ein Trend im englischsprachigen Raum, für Büro-Hipster und Style-Blogger auf Pinterest – vielleicht ein Wortspiel von Wire? Und was sind "Tactic mangoes" für Früchte? Jedenfalls geht es um Taktik, Vorsicht, die richtigen Schritte, Aufpassen, wo man hinläuft.

In den ruhigeren Parts des Albums tragen einige Songs nicht wirklich zur Habenseite bei. "Unrepentant" und "Shadows" sind klassisch schlaftrunkene Songs für Abspannphasen von Filmen oder den letzten Song vor dem Sendeschluss einer UKW-Kulturwelle um kurz vor Mitternacht. Schön, aber nichts wirklich Besonderes. Nichts, was David Sylvian nicht mit noch mehr Dramatik und Grazie hinbekäme.

Der zweite Song, der sich neben "Be Cactused" einbrennt, ist "On The Beach": "Dogs out barking (...) People shopping, buying, selling / people smoking, joking, hoping", rollt der impressionistische Sänger hier seine Alltagseindrücke ab. Es geht immer so weiter, Aufzählung folgt auf Aufzählung, zu einer catchy Melodie und zu stürmischem Beat. Und wupps, plötzlich ist der Song mitten im Satz vorbei.

Am Punkigsten dröhnt 2020 "Oklahoma" mit einem gehörigen Schuss WARP-Style-Elektronik und Newmans flehentlichster Intonation. Im Gegensatz zu manchem Album zuvor dient sich "Mind Hive" zum Nebenbei-Hören an. Bei bewusstem Zuhören unterfordert es stellenweise, obwohl einige Songs clevere Ansätze haben. Auch wenn sie im letzten Track, "Humming", allzu sehr nach Flaming Lips klingen, bestätigt das nur eine Kernkompetenz von Wire: Nach wie vor erzeugen sie starke Stimmungen.

Trackliste

  1. 1. Be Like Them
  2. 2. Cactused
  3. 3. Primed And Ready
  4. 4. Off The Beach
  5. 5. Unrepentant
  6. 6. Shadows
  7. 7. Oklahoma
  8. 8. Hung
  9. 9. Humming

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