laut.de-Kritik
Überwältigendes Ambient-Spätwerk des Kölner Techno-Urgesteins.
Review von Toni HennigVor 17 Jahren erschien mit "Pop" das letzte Lebenszeichen von Wolfgang Voigts Ambient-Techno-Projekt GAS. Ohne die Reduktion auf das Wesentliche in seinen Tracks wäre die Musik von Pantha Du Prince und Jon Hopkins kaum denkbar. Nachhören kann man dies auf der 4-CD-Box "Nah Und Fern". Außerdem betreibt der 56-jährige das Label Kompakt und zahlreiche Tochterplattenfirmen. Dort veröffentlicht er weiterhin eine Vielzahl an Soloreleases. Von seiner Techno-Vergangenheit löst sich der Kölner dennoch auf "Narkopop".
Schon der Opener "Narkopop 1", der mit seinen elegischen klassischen Samples mehr einer Ouvertüre denn einer elektronischen Komposition gleicht, zeigt Wolfgang Voigt von seiner monumentalsten Seite. Die geloopten Bläser- und Streicherarrangements, die an die epischen Klänge von Richard Wagner, Anton Bruckner und Gustav Mahler erinnern, dominieren auch die restlichen Nummern auf diesem Album. Assoziationen und Bezüge zur deutschen Spätromantik gibt es auf der Platte wieder einmal reichlich zu entdecken.
In "Narkopop 2" nimmt man die 4-/4-Bassdrum eher dezent im Hintergrund wahr. Auf dem Vorgänger hatte diese zugunsten eines weitläufigeren Sounds bis auf wenige Stücke ausgedient. Die auf- und abschwellenden Crescendos haben in ihrer Erhabenheit mit der Funktionalität des Techno kaum etwas gemeinsam. Die ausladenden Holzbläser-Samples entführen ins dunkle, verregnete Dickicht.
Die hellen Momente von "Pop" scheinen jedoch auf dieser Platte vereinzelt durch, wie das archaische "Narkopop 3" verdeutlicht. Mit "Narkopop 4" dringt Wolfgang Voigt in entrückte Klanglandschaften vor, wie man sie eher von der Tape-Loop-Musik William Basinskis erwartet. "Narkopop 5" führt mit einem industriellen Marschrhythmus an Gruften und Ruinen vorbei. An atmosphärischer Vielschichtigkeit mangelt es diesem Album dadurch nicht.
Als Kontrast dazu beherbergt "Narkopop 6" einige seltene akustische Elemente. Auf "Königsforst" (1998) spielen diese als zusätzliche erdige Komponente eine zentrale Rolle. Mehr Wärme und Natürlichkeit hätte man sich für diese Platte schließlich gerne erhofft. Die zweite Hälfte dieses Albums klingt nämlich an manchen Stellen zu gleichförmig, etwa wenn ein statisch-monotoner Synthie-Ton in "Narkopop 7" in bester CM-von-Hausswolff-Manier ohne nachhaltigem emotionalen Effekt am Hörer vorbeirauscht.
Trotzdem besitzen die letzten rund 30-40 Minuten von "Narkopop" abseits dieses dronigen Intermezzos und weniger langatmigen Passagen eine überwältigende Wucht. "Narkopop 9" lässt mit dissonanten Holz- und Blechbläser-Arrangements Himmel und Hölle lodern. "Narkopop 10" schwingt sich, trotz seines zähen Ausklanges, begleitet von einer prägnanten Bassdrum in himmlische Sphären auf. Der Kölner beweist außerdem mit diesem Stück, dass er seine technoiden Qualitäten keineswegs verlernt hat.
Schließlich fehlt manchen Nummern dieser schroffe Ansatz als kraftvolles Gegengewicht zur melancholischen Tiefe, weswegen gerade "Königsforst" zu einem der großartigsten Werke Wolfgang Voigts zählt. "Narkopop" markiert ebenso wie "Pop" eine logische Weiterentwicklung seiner Musik in Richtung Ambient. Nichtsdestotrotz hat GAS nie so eine atemberaubende Fülle an feingliedrigen Soundnuancen wie auf dieser Platte besessen. Die großen Leinwandbilder kann man sich als Hörer dazu im Kopf kreieren.
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