laut.de-Kritik
Das Ich-muss-hier-weg-Gefühl - ich spürs.
Review von Dani FrommSchlager muss wirklich die genügsamste Klientel der Welt haben. Absolut faszinierend, mit wie wenig Aufwand sich diese Zielgruppe nicht nur abspeisen, sondern offenbar wirklich glücklich machen lässt. Diesen Eindruck erwecken jedenfalls die Reaktionen in den Kommentarspalten: "Hammersong!", flippen sie etwa unter dem Video zu "Uns Gehört Die Welt" schier aus. "Mega mega mega cool!!!" "Der Produzent ist ein Genie." Letztgenannte Aussage unterschreibe ich.
Zumindest hat Felix Gauder den perfekten Weg gefunden, um aus minimalem Aufwand maximalen Profit zu schlagen. Unter den zwölf Tracks von "Hotel Tropicana" findet sich mit "Die Zeit Heilt Alle Wunden" eine (in Zahlen: 1) Klavierballade zum Feuerzeuge- respektive Smartphone-Leuchten-Hochhalten beim Konzert. Der Rest entpuppt sich als nach absolut identischem Muster gestrickt: Die Melodie kommt aus dem Alleinunterhalter-Keyboard, der Vierviertelbummsbeat direkt aus der Discofox-Hölle, kurz vor Ende setzt es recht zuverlässig noch einen Tonartwechsel. Modulate!
Dazu singt Vanessa Mai, deren Stimme noch immer weder mit besonderem Volumen noch mit exorbitanter Range noch mit sonst irgendetwas beeindruckt, von den Themen, auf die sich Billoschlager in Deutschland eingeschossen hat: Fernweh und ewige Liebe, unterschiedslos verpackt in immer die gleichen drei zerfledderten Metaphern.
Wobei, genau genommen ist es nur eine: die vom Fliegen, nämlich, mit Flügeln wahlweise "aus Gold" ("Wolkenflieger") oder "aus Musik" ("Flieg Mit Mir"). "Mir egal, was morgen ist, komm', lass' uns fliegen." Ziele sind "Wolke sieben", "bis zum Mond und zurück" oder, etwas profaner, "Einmal Las Vegas Und Zurück", um dort ... naaa? Na, genau: um dort zu heiraten. "Lass' uns frei sein und verrückt!" Ich vermute, dass auf unoriginellste, weil von Filmen und Serien tausendfach genau so vorgekaute Art und Weise in den denkbar bürgerlichsten Personenstand zu wechseln exakt das ist, was sich Wolkenfrei-Fans unter "frei und verrückt" vorstellen.
Ganz sicher bin ich mir aber nicht, ich habe zugegebenermaßen erhebliche Schwierigkeiten, die Gedankengänge von Menschen nachzuzvollziehen, die sich von diesem banalen und obendrein elend piefigen Scheiß tatsächlich abgeholt fühlen. Es müssen schon arg traurige Existenzen sein, die unvorstellbar triste Leben führen, wenn ein Ausbruch daraus, beschallt von DIESEM Album, irgendwie verlockend erscheint. Vollkommen schleierhaft bleibt mir außerdem, wie einen die ständigen Wiederholungen, musikalisch wie inhaltlich, nicht aggressiv machen können.
Ein Stück klingt wie das nächste, auch die Unterschiede zwischen "Uns Gehört Die Welt" und dem auf Spotify als Zugabe mitgelieferten zugehörigen "Hazienda Mix" muss man mit der Lupe suchen. Bei den Texten lässt sich genau so leicht durcheinanderkommen. Als Vanessa Mai in "Flieg Mit Mir" ansetzt, "Irgendwo hast du dein Lächeln verloren", bin ich fast bereit zu wetten, diese Zeile in einem der acht vorangegangenen Song-Klone bereits gehört zu haben. Wie viel Einfallsreichtum in den Lyrics steckt, hätte allerdings schon der bei Wham! und den Eagles zusammengeborgte Albumtitel recht genau erahnen lassen können. Sollte irrwitzigerwesie trotzdem die Resthoffnung auf ein Fitzelchen Originalität gekeimt sein: Die Tracklist macht ihr den Garaus. Wo nicht gerade (mit oder ohne Wolken) geflogen wird, heißen die Nummern "Bis Zum Morgenrot", "Wahre Liebe Tut Nicht Weh" oder "Zurück Im Zauberland".
Vor allem zurück: Vanessa Mai hat nicht nur das Wolkenfrei-Banner und den Produzenten von dunnemals wieder ausgemottet, sie zitiert sich auch noch unentwegt selbst. "Jeans, T-Shirt und Freiheit" hieß eine Single von 2013, jetzt singt sie: "T-Shirt, Jeans und dich, mehr brauch' ich nicht." Um einfach mal ans Meer zu fahren, nämlich. Mit der Realität Normalsterblicher hat das natürlich wenig zu tun: Die haben mehrheitlich wohl eher weder den abfahrbereit aufgetankten Bully nebst funktionierendem Navi vor der Tür stehen noch die nötigen Reserven, die erlauben würden, einfach mal zwei Wochen oder länger auf alles zu scheißen. Spontaneität, Freiheit und die viel strapazierte Crazyness muss man sich leisten können.
Kein Problem aber für eine, die skrupellos genug agierte, um sich in ein etabliertes Bandkonstrukt einzuzecken und denen zum Dank für die Chance und die Plattform den Manager auszuspannen, der zuuuufällig ein gut betuchter Hotelerbe und zudem praktischerweise der Stiefsohn von Andrea Berg ist. Gemeinsam feilte dieses sympathische Pärchen hernach an Vanessa Mais Solokarriere, hinter dem Rücken der Bandgründer, die auf der Strecke blieben, kaum dass sie nicht mehr nützlich erschienen.
Wie mögen da wohl die Dialoge abgelaufen sein? "Du, Schatz, lass' mal sicherheitshalber den Bandnamen behalten. Wer weiß? Vielleicht lässt sich der ja noch vergolden." "Ja, 2023, zum zehnjährigen Jubiläum, oder so?" Gute Idee: So lassen sich auch die Fans noch einmal abmelken, denen das Zeug aus den letzten Jahren zu 'modern' war.
"Sag' mal, spürst du es manchmal auch, so wie ich? Dieses Ich-muss-hier-weg-Gefühl?" Also ... ICH fühls!
7 Kommentare mit 4 Antworten
Es is wirklich nicht gut. Wirklich nicht. Hotel Tropicana lässt hin und wieder Vanessas Potential aufblitzen, zeigt aber vor allem, dass alle hier Beteiligten vollkommen einverstanden damit sind, nur das absolute musikalische Minimum abzuliefern.
Mehr: https://youtu.be/nsPtR2qJ9A0
Warte auf Frauenarzt Feature für das T-Shirt und Jeans Ding.
Für unterwegs sollte man eigentlich ein paar Schlüpper einpacken. War also auch kurzzeitig besorgt über Vanessas Intimhygiene, bevor mir sofort wieder auffiel, was für ein fataler Schwachpunkt es so als Mensch ist, Ohren zu haben, die solche "Songs" wahrnehmen können.
"Hirnfrei" wäre ehrlicher gewesen
Und dann auch noch Autotune oder Melodyne ohne Ende. Singt die so schlecht, oder hatte sie keinen Bock? Nach dem ersten "Song" reicht das schon für die himbeerigste aller Himbeeren. Das ist einfach nur zum Brechreiz kriegen. KI basierte Musik. Klingt so, wie die schrecklichen Antworten von ChatGPT auf die Probleme der Welt.
Vielleicht war das die Probe für das nächste Meisterwerk ? Texte und Musik werden komplett von der KI erstellt. Und Danach wird Ihre Stimme in die KI integriert damit die KI die Lieder dann auch einsingt. Dann braucht die gute nur noch kassieren. Den Rest übernimmt die KI.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Warum nennt sich Vanessa Mai hier "Wolkenfrei", wenn sie sich doch sonst "Vanessa Mai" nennt?
Nicht gelesen ? Sie war dem Bandprojekt Wolkenfrei beigetreten und hat sich den Namen gekrallt. Und jetzt wird er ohne die dazugehörigen Bandmitglieder reaktiviert.
Schon gelesen, aber noch immer nicht verstanden. Ich frage mal anders: Worin besteht der Unterschied zwischen Vanessa Mai als Vanessa Mai und Vanessa Mai als Wolkenfrei ohne ehemalige Bandmitglieder?